Für mich hat die Ich-Perspektive mittlerweile einen faden Beigeschmack, weil zahllose Romantasybücher aus der Sicht eines nervigen, naiven Mädchens geschrieben wurden, die ein sehr fragwürdiges Frauenbild vertreten. Aber das ist wiederum ein anderes Thema
Aber durchaus ein Thema, über das wir reden sollten. Aber ich warne euch jetzt schon: Das gehört zu meinen Lieblingsaufregthemen. Es wird lang.
Meine elfjährige Tochter liebt Fantasy. Unsere Bücher kaufen wir in der dorfeigenen Buchhandlung. Mit der Inhaberin und der Angestellten bin ich schon lange sehr gut bekannt, natürlich auch durch meine eigenen Romane. Wie auch immer. Wenn ich also ein Buch für Tochterkind suche, schlagen mir die beiden immer mal wieder Romane vor und beinah immer heißt es: Da geht es um ein zwölf-, dreizehnjähriges Mädchen. Die Protagonisten sollten etwa ein, zwei Jahre älter sein als die Leserinnen. Ja, leuchtet mir ein.
Aber: Ich bin bald einundvierzig. Dass es sowas wie einen idealen BMI gibt, weiß ich vom Hörensagen. Ich bin dreifache Mutter, habe nicht studiert, arbeite als Senioren-Betreuerin und stehe, würde ich von mir behaupten, mit beiden Beinen auf dem Boden, mitten im Leben. Damit gehöre ich, vermute ich mal, nicht zu einer unbedeutenden Minderheit.
Nein, ich kann mich nicht mit gertenschlanken, spätpubertierenden Protagonistinnen identifizieren. Dabei würde ich gerne einen guten Fantasy-Roman lesen. Mit einer Prota, der ich morgen auf der Straße begegnen könnte. Ich habe kein Idealbild mehr, wie ich gerne mal sein würde oder male mir auch nicht in romantischen Träumen aus, wie mein Leben/Mann einmal sein wird.
Sorry, aber da fühle ich mich ... übersehen. Gibt es keine Zielgruppe, normale Frau über dreißig die einfach nur ein gutes Buch lesen und sich nicht in eine Scheinwelt flüchten möchte?
In den letzten beiden Romanen, die ich gelesen habe, haben mich gerade die Rollen der Frauen extrem aufgeregt. Hatte ich ja hier und da schon anklingen lassen.
Roman eins spielt Anfang des 20. Jahrhunderts. Celia heiratet gegen den Willen ihrer Eltern und setzt sich durch, indem sie sich von ihrem Angebeteten schwängern lässt. Sie fasst Fuß im Verlag ihres Mannes und hält den über Wasser, während er im Krieg an die Front muss. Soweit, so gut. Schon da haben mich der Roman selbst nicht mehr überzeugt, aber hier geht es ja jetzt um die Figurenzeichnung.
Später aber entwickelt sich Celia zu jemandem, den ich den ganzen Tag nur schütteln möchte. Sie beginnt eine Affäre, gut, das kommt vor, auch damit hätte ich noch leben können. Aber: Ihr Mann kommt von der Front und das Einzige, woran die Frau denkt, ist die Frage, warum er nicht mit ihr schlafen möchte und wie sehr sie doch darunter leidet. Dass er verletzt und völlig traumatisiert ist, ach was solls. Dann hat er die Frechheit, sein altes Leben zurück zu wollen. Erkennt einfach nicht an, dass sie im Verlag alles umgekrempelt und teilweise hochriskante Entscheidungen getroffen hat (extrem hoher Vorschuss für ihren Geliebten). Unverschämt. Am Ende bleibt eine egoistische, selbstherrliche Frau, die nicht den Hauch von Selbstkritik oder Empathie zeigt.
Roman zwei ist in einer dystopischen Zukunft angesiedelt. Jean ist Mutter von vier Kindern (drei Jungs, ein Mädchen) und eigentlich glücklich verheiratet. Es kommt ein religiöser Fanatiker an die Macht, Frauen bekommen ein Wortzähler um das Handgelenk und dürfen nur hundert Worte am Tag sprechen. Anfangs kann ich mich gut in Jean hineinversetzen. Die Vorstellung ist einfach Horror, nicht mehr mit den Kindern sprechen zu können. Sie nicht fragen zu können, wie ihr Tag war. Meine Tochter zu sehen, die nicht mehr sprechen darf und will. Auch ihre Wut gegen ihren Mann konnte ich nachvollziehen. Warum lässt er das zu? Aber dann kommt der erste Knacks: Sie hasst ihren ältesten Sohn. Weil er annimmt, was er in der Schule gelehrt bekommt. Dass Frauen ins Haus und an den Herd gehören. Da hört die Identifikation auf. Ich bin Mutter. Mein Sohn ist achtzehn. Ich könnte ihm beinah täglich rechts und links eine scheuern, wenn ich hoch käme.
Aber ich kann mir nichts vorstellen, das mich dazu bringen könnte, mein Kind zu hassen. Die 'Erklärung' im Buch ist nicht nachvollziehbar.
Naja, dann kommen ein paar Zufälle und pliplaplup, Jean muss ein Serum finden für die Regierung, ihr Armband wird ihr abgenommen und ... siehe da, sie darf mit ihrem Geliebten zusammenarbeiten. Von dem sie übrigens schwanger ist. Der Held möchte sie mit nach Italien nehmen, besorgt ihr einen falschen Pass und will sie retten. Sein Kind könnte ja ein Mädchen sein. Von ihren Kindern - von denen er natürlich weiß - kein Wort. Auch sie ist sehr schnell bei dem Entschluss, dass sie dann halt einen Strich unter ihr bisheriges Leben machen muss. Sie will schließlich frei sein und das Baby könnte ein Mädchen sein. Tut ihr natürlich leid für die Tochter, die sie schon hat, aber egal. Ich war natürlich noch nie in einer solchen Situation, aber für nichts auf der Welt würde ich meine Kinder aufgeben. Schon gar nicht in einer solchen Welt zurücklassen.
Das waren jetzt zwei Beispiele, wo starke Frauenfiguren gezeichnet werden sollten. Die aber über 'Leichen' gehen, fremdgehen, keine Rücksicht auf die Familie nehmen. Hatte ich nur Pech oder ist das ein Muster?
Beinah jedes Fantasy-Buch, das mir Freundinnen empfehlen, hat eine Protagonistin, die höchstfalls um die zwanzig ist und in 99% der Fälle geht es um die große Liebe. Die wahlweise ein Vampir, Dämon, Engel, Halbgott, was weiß ich was ist. Und geheimnisvoll. Und supertoll. Und gutaussehend.
Die Protagonistin selbst ist das natürlich auch alles. Außer geheimnisvoll vielleicht. Dafür grundgut und mit irgendwelchen supertollen Kräften gesegnet.
Ist jetzt wahrscheinlich überspitzt ausgedrückt. Aber auch wenn ich mir die Cover oder Rückentexte diverser Romane ansehe, überkommt mich dieses Gefühl.
Es mag daran liegen, dass ich sehr viele historische Romane lese, aber die besten Frauenfiguren finde ich tatsächlich dort. Dann handelt es sich aber auch immer um historische Personen. Eleonore von Aquitanien, Kaiserin Mathilde, um nur zwei zu nennen. Sobald es fiktive Protas sind, fängt es schon wieder an. In Histos sind sie gern ihrer Zeit sehr sehr sehr weit voraus.
Was ich mich frage, ist, warum ist das so? Sind es die Autorinnen, die ihre eigenen Wünsche in ihren Romanen - und damit den Protagonistinnen - verpacken? Sind es die Verlage, die gewisse Zutaten in einem Roman haben wollen?
Oder sind es die Leserinnen, die gar keine Realität wollen? Die lesen wollen, dass eine Frau ausbricht, nur an sich und ihr Glück denkt? Die große Liebe findet und froh ist, dass ihr jemand Verantwortung und Verstand abnimmt? Ich weiß es nicht, es ist mir ein Rätsel.
Tut mir leid, dass es jetzt sooo viel geworden ist, aber das Thema brennt mir wirklich auf der Seele und ich habe bislang niemanden gefunden, mit dem ich mich wirklich drüber austauschen konnte.