Hallo,
auf Coras Anregung eröffne ich nun einen Thread über *Zufälle*. Falls ihr gelungene/missglückte Beispiele über Zufälle in Roman und Film habt, würde ich mich freuen, wenn ihr sie hier posten würde.
Zuerst stellt sich die Frage:
Was ist ein Zufall?
Laut Wikipedia wird von Zufall gesprochen, wenn für ein einzelnes Ereignis oder dem Zusammentreffen mehrerer Ereignisse keine kausale Erklärung gegeben werden kann.
Duden erklärt: Etwas, was nicht vorausgesehen werden konnte, was nicht beabsichtigt war, was unerwartet geschieht.
Menschen sahen und sehen in Zufälle das Wirken einer göttlichen Macht, des Schicksals oder des Universums. Im realen Leben akzeptieren wir Zufälle. Sie gehören zum Leben.
Anders sieht es in Romanen aus. Da gibt es gute und schlechte Zufälle. Oder anders gesagt: Zufälle, die der Leser akzeptiert und solche, die ihn schlimmstenfalls das Buch zur Seite legen lassen.
Was macht den Unterschied aus?
Gute Zufälle werden vom Autor vorbereitet.
- Das Auto, das bei der Flucht stehen bleibt, bleibt nicht einfach so stehen. Ein geschickter Autor baut schon vorher in einem Satz/Nebensatz ein, das der optisch so schicke Flitzer ein Montagsauto ist, das immer (im unpassendsten Moment) Probleme bereitet. Oder der Vorbesitzer ist froh, den ollen Karren für eine Menge Geld an einen Dummen losgeworden zu sein.
- In der Serie El Barco wird das Segelschulschiff von Millionen ausgehungerter Vögel belagert. Als alle Hoffnung schwindet, kommt ein Matrose auf die Idee, eine CD mit dem Rufen der Wanderfalken abzuspielen. Die Vögel fliehen, Schiff gerettet.
Natürlich ist es logisch, dass die Vögel beim Ruf ihres Todfeindes flüchten. Aber wäre es so ein guter Zufall? Nein. Der Zuschauer würde sich zu recht fragen, was eine CD mit Falkenrufen auf einem Segelschulschiff zu suchen hat.
Doch der/die AutorEN machten es geschickt. In einer Miniszene zeigten sie, wie der Matrose in einem abonnierten naturkundlichen Magazin blätterte, dem immer eine CD mit den Tierstimmen beigefügt ist, über die im Magazin berichtet wird. Die Miniszene wird nur beiläufig vom Zuschauer wahrgenommen und von den anderen Ereignissen übertüncht/verdrängt. Doch als dann die CD die Lösung des Problems wurde, erinnert er sich wieder daran.
- Ein anderes gutes Beispiel fällt mir zu dem Film Jurassic Park 2 - Lost World ein: Kelly will ihren Vater, Dr. Ian Malcolm, auf der Expedition begleiten. Ian lehnt ab, verweist u. a. darauf, dass sie ja nicht bei ihrem Recktraining für die Olympia-Auswahl fehlen darf und Kelly antwortet, dass sie aus dem Team geworfen wurde. Später rettet Kelly ihren Vater aus einer ausweglosen Situation mit einer akrobatischen Einlage vor einem hungrigen Raptor.Ohne den Hinweis am Anfang, dass Kelly eine geschickte Turnerin ist, wäre die Szene unglaubwürdig. Denn wie viele Leute können sich von Stange zu Stange mit Salto und Überschlag schwingen? Und würde diese Erklärung erst nach dieser Szene folgen, wäre es ebenso unglaubwürdig.
Zufälle funktionieren nicht, wenn sie wie das *Kaninchen aus dem Zauberhut* gezogen werden. Da gibt sich der Autor alle Mühe, die zu bewältigenden Schwierigkeitshürden immer höherzuschrauben und der Leser ist neugierig, welche Lösungen ihm einfallen. Und dann kommt dem Charakter der unvorbereitete Zufall zu Hilfe. Der Leser fühlt sich zu recht betrogen. Der Autor ist der Gott seiner Geschichte und stellt Regeln für diese Geschichte auf. Der Leser vertraut dem Gott-Autor. Auch darauf, dass der Gott-Autor seinen Figuren keine Hindernisse in den Weg legt, die diese nicht alleine bewältigen können und er sich selbst und auch die Figuren sich an die von ihm aufgestellten Regeln hält. Bricht der Autor diese Regel, missbraucht der Autor das Vertrauen. Wie kann sich der Leser darauf verlassen, dass sich der Autor auch nicht in Zukunft mit Zufällen Lösungen aus dem Hut zaubert?