Jo, ich bin vernarrt in Sprachen, und auch in das Phänomen "Sprache" als solche. Und bin in einem Misch-Masch an Sprachen aufgewachsen...
Muttersprache... lange Geschichte...
Meine Sippe lebte unter arabischer Herrschaft in Spanien. Dort sprachen die Juden ein archaisches Spanisch aus dem 13. bis 14. Jahrhundert, angereichert durch eine Menge arabischer und hebräischer Lexeme, und mit einer hebräischer Grammatik (einschließlich Syntax). Diese Sprache trug mehrere Namen, am ehesten Spanyol.
Als die Juden aus Spanien vertrieben wurden, spaltete sie sich in vier Zweige. Ein portugiesisch-niederländisches Spanyol (mittlerweile ausgestorben; bekanntestes Beispiel: Spinoza); ein noch stärker arabisiertes Spanyol, vor allem in Marokko (genannt Hakitia), nach der Vertreibung der Mehrheit der Juden aus den arabischen Ländern nur noch ein Schatten, mit einer Überlebenschance von vielleicht noch drei oder maximal vier Generationen, bis die allerletzten Sprecher aussterben; das Ladino oder Djudezmo als Hauptzweig; das Balkan-Djudezmo als kleiner Zweig, der auch die Muttersprache meiner Sippe und dann Familie war.
Zu den letzten zwei:
Das Ladino versucht man zu retten. Es gibt eine Publikation -- ich glaube nur noch vierteljährlich, oder zweimonatlich, auch mal mit Gedichten, Erzählungen, Essays -- und ab und an Broschüren und dergleichen. Die letzten vier echten Bücher dürften nach meiner vagen Erinnerung um 1921 bis 26 erschienen sein, eines in Mailand oder im italienischen Alessandria (hat mit Ägypten nicht zu tun, etliche Städte der alten Welt trugen den Namen des Mazedoniers), drei in Saloniki. Bin sehr skeptisch: Ob die Sprache in drei Generationen noch existiert, weiß ich wirklich nicht. Vielleicht...
Kommen wir zu meiner Muttersprache: Balkan-Djudezmo wurde von der kleinen Gruppe von damals maximal 20.000 Sprechern zunächst in Dalmatien gesprochen. Als auch die Republik Venedig sie zu verfolgen begann, siedelten sie nach und nach in die Territorien der k.u.k-Monarchie weiter. Die Sprache übernahm nun eine Menge von slawischen und jiddischen Einflüssen und auch manche deutsche Lexeme. Es gibt noch ca. 200 ältere Sprecher in der Welt verstreut. In meiner Familie wurde sie ab Anfang der Sechziger nicht mehr gesprochen. Ich hatte keine sephardische, sondern eine aschkenasische Frau.
Mein letztes -- meinerseits etwas mühseliges -- Gespräch von zehn Minuten in Balkan-Djudezmo mit einer sehr alten Frau habe ich Anfang der Siebziger gehabt. Faktisch ist diese Sprache gestorben.
Aufgewachsen bin ich zusätzlich mit Französisch und Italienisch als lebendige Sprachen. Das Abitur hab' ich auf Italienisch abgelegt. Gelebt hab' ich meistens in Israel.
Als mein Krebs ausbrach, lud mich ein Freund in seine Klinik, der eine hämatologische Uniklinik in Deutschland leitet. Daher meine Übersiedlung nach Europa hierher.
Jo, meine Resilienz ist ganz schön zäh... Vedremo, vedremo, falls wir sehen werden... (À propos sehen: In Februar werde ich gegen den Grauen Star operiert. Zur Zeit sehe ich sehr erschwert.)