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THEMA: Schreibratgeb-Hemmung

Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 10:59 #342

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Man hört immer wieder, dass Schreibratgeber und/oder testlesende Autoren jemanden verunsichern.

Mich würde es sehr interessieren, in welchen Belangen das bei euch (eventuell) der Fall ist. Wobei? Adjektive? Dramaturgie? Rückblenden? ... ?
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 13:34 #347

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Lieber Martin,

wie Du siehst, vertreibe ich mir hier im Forum die Zeit anstatt bei der Überarbeitung meiner Teepflückerin. Mit dem Wissen aus gefühlten 200 KM Schreibratgern, einigen Seminaren und mehreren Kurzgeschichten legte ich los. Meine Adjektivitis habe ich inzwischen recht gut im Griff. Der Text meiner ersten Roman-Fassung war nüchtern, kalt mit kurzen knappen Sätzen - genauso wie es in allen Büchern als das Non plus Ultra postuliert wird. Einige Testleser waren davon begeistert, ich selbst fand den Text leblos, denn dieser Schreistil gehört einfach nicht zu Linda.
Bei der ersten Überarbeitung habe ich dann die Rückblende, soweit es ging eliminiert und stattdessen einen Prolog vorangestellt. Na ja und ein wenig "Blümchensprache" eingearbeitet!
Jetzt lese ich heute früh beim Kaffee, der Prolog sei eine Todsünde, altbacken, also mega out! (Waldscheidt!) Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten: Diese Todsünde zu begehen oder erneut alles umzubauen und den Prolog als 1. Kapitel zu nehmen, um dann den Roman als Rückblende zu schreiben, und beim letzten Drittel wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. (Bandwurmsatz - auch eine Todsünde!)Meine jetzige Absicht: Ich werde vorerst bei der Todsünde bleiben. Das Ende schreiben und danach entscheiden! Zwischendurch kämpfe ich hin und wieder mit einem nicht beabsichtigten Perspektivwechsel und den vielen anderen "Das darfst Du niemals". Ein befreites Schreiben, so wie ich es am Anfang betrieben habe, fühlte sich anders an. Und zu all den guten Schreibratgeber-Verboten/Empfehlungen kommt dann noch die Rechtsschreibreform, die einem Oldtimer wie mir das Leben zusätzlich erschwert. Schifffahrt mit drei f einfach grausig.

So, das war ein Einblick in Lindas Schreibherz. Jetzt trolle ich mich wieder an die Arbeit!

Liebe Grüße
Linda
Letzte Änderung: 27 Mär 2014 13:37 von Linda. Begründung: Fehlerteufel
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 14:43 #349

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Hi Linda,

vielen Dank für diesen interessanten Einblick! Ich glaube, dass du damit vielen aus der Seele gesprochen hast!
wie Du siehst, vertreibe ich mir hier im Forum die Zeit anstatt ...
Wie du siehst, bist du damit nicht allein. Oder vielleicht stimmt der Ansatz ›vertreibe ich mir hier im Forum die Zeit anstatt‹ nicht? Für mich gehört es zur Arbeit,wobei ich dieses Gefühl, es ist ja nur im Forum Schreiben, gut kenne. Ich seh das gar nicht mehr so. Alles hängt zusammen und speziell dieses Thema hängt ja sehr eng mit der Arbeit zusammen, deiner im konkreten Fall. Meiner im übergeordneten.


Was du beschreibst, kommt mir wie ein ganz normaler Werdegang vor: lernen - in dogmatischer Enge landen und sich gleichzeitig von sich entfernen - zu sich zurückfinden und das Erlernte im eigenen Stil umsetzen.

Von dem, was du erwähnst, finde ich sinnvoll, wenig Adjektive zu verwenden, weil die einfach die Gefahr bergen, dass man ins Schwafeln kommt. Gut eingesetzte hingegen können sinnvoll abkürzen: Man muss nicht jeden kleinen Schmarrn shown. Die Gefahr liegt zudem vor allem bei den abgegriffenen wie etwa dem freundlichen Dreinschauen. Treffende Adjektive, vor allem selten verwendete stören selten.

Rückblenden finde ich nur dann gefährlich, wenn der Leser vorher nicht gut genug in der Geschichte einwurzeln konnte. Ansonsten völlig okay.

Prologe mag ich persönlich auch nicht, mögen wenige. Da eher siehe oben mit der Rückblende.

Bandwurmsätze können durchaus reizvoll sein, wenn man sie dafür einsetzt, z.B. Atemlsogkeit wiederzugeben.

Perspektivwechsel finde ich sowieso spannend! M.E. ist dabei der Hauptfehler, dass man den Leser davon zu spät in Kenntnis setzt. Absatz, Leerabsatz oder gar ***-Absatz (siehe Patchwork) und kurzer Hinweis im ersten Satz, wo, aus wem man umgeht, funktionieren fast immer.

NDR: Hier wird ohnehin allenthalben zurückgesteckt. M.E. gar nicht so viele Unterschiede zu vorher, die zu berücksichtigen sind. Die Sauerstoffflasche und die Schifffahrt sehen saublöd aus, da stimme ich dir zu! Ich gebe auf diese Sachen nicht so viel und glaube auch nicht, dass ein Buch daran scheitern wird.

Also: passt eh alles oder? ;-)

Liebe Grüße
Martin
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 17:09 #350

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Hallo Martin,

da habe ich mich wieder im Fettnapf gewälzt! Ich hoffe, Du weißt, wie ich es meinte.

Ich gestehe ja, dass ich Prologe auch selten lese, aber in meinem Fall erscheint es mir als die beste Lösung. Vielleicht fällt mir noch eine günstigere Lösung ein.

Und den Perspektivwechsel gibt es bei Linda schon hin und wieder in anderer Form! Sonst wäre es kein Problem :(

Aber mir fällt gerade noch etwas zu den Ratgebern ein: Eigentlich schreiben diese Autoren mehr oder weniger das gleiche. Meistens Verbote, Verbote, Verbote ... Aber ein richtiges "Kochbuch", wie mache ich es besser mit Anleitungen zu Strukturierung, Zusammenführung der Stränge etc. hatte ich bisher nie entdeckt. Die ist mir erst vor wenigen Wochen im Internet (Bobowski) kostenlos über den Bildschirm geflattert. Auch die zahlreichen Empfehlungen an den Ort des Geschehens zu reisen ist wenig sinnvoll, solange man keinen Agenten oder Verlag hat. Bei berufsmäßigen Schriftstellern hat das seine Gültigkeit, aber die brauchen auch keinen Schreibratgeber?

Pardon
Linda
Letzte Änderung: 27 Mär 2014 17:10 von Linda.
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 17:35 #351

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Hi Linda,

Fettnapf? Stehe auf der Leitung, aber sorry, wenn was meinerseits falsch lief. Ich dachte, einfach was zu diesen Punkten zu sagen, eigene Ansicht und so, lesen ja vielleicht auch andere, die da etwas zwickt.

Perspektivwechsel war (ist ...?) ein ziemliches Thema bei mir. Seit ich mit Patchwork arbeite, hat sich das schwer gebessert, weil ich da immer darauf achte, in welcher Perspektive ich die Szene eingestellt habe. Das ist für mich sehr hilfreich.

Bobowski - wer oder was ist das? Solche Sachen, wie du sie erwähnst, wären hilfreich, keine Frage.

Nun ja und das Hinreisen - da muss man sich erst einmal leisten können! Michael Höfler zum Beispiel hat für Balkanglühen die ganze Reise gemacht, die dort beschrieben wird. Dazu muss man aber sagen, dass er gern reist und das vielleicht auch einen Antiel Motivation brachte. Was halt bei der Recherche ohne Gegendkontakt nicht geht, das sind vor allem Gerüche und teilweise auch Geräusche. Beides bringt natürlich viel Leben in eine Geschichte.

Magst du einen Links zu der Bobowski-Sache verraten?

Viele Grüße
Martin
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 18:45 #352

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Nochmals zu dem eben gesprochenen. Eben kam mir die Idee, dass uns wir ja einzelne Punkte herauspflücken und darüber reden können. Einen Thread über das Zusammenführen und Auflösen von Handlungsfäden, einen über Perspektiven usw.

Wie wäre das?
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 18:56 #353

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Die Schreibratgeber, tja. Nachdem ich mir sie ebenfalls im zeitlichen Umfeld meines ersten Romans reingezogen habe, bin ich nun nicht wirklich schlauer.

Warum ich mir diese Bücher gekauft habe?

1.) Weil man ja zu Anfang nicht weiß, was man so alles nicht weiß.
2.) Weil man ja glaubt, dass jemand der solche Bücher schreibt, na ja, der muss ja schlau sein, der muss es ja wissen.
3.) Weil ich geglaubt habe, nach dem Lesen dieser schlauen Bücher weiß ich, was man machen darf, machen muss oder nicht machen darf/sollte.

Interessant sind solche Bücher auch für ein erstes Exposé. Wer hat die denn schon vorher geschrieben? Das Exposé ist ja die Eintrittskarte, dafür sollte man schon etwas investieren. Man erfährt in den Büchern schon, worauf es ankommt. Man darf sich nur nicht zwanghaft daran halten.

Mein Fazit: Der Punkt 1 erfordert eine gewisse Beschäftigung mit der Materie – für einen Überblick. Ansonsten dienen die Bücher den Autoren, die sie geschrieben haben.
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Schreibratgeb-Hemmung 27 Mär 2014 20:05 #354

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Hallo in die Runde,

@tatwort: Zitat: Die Schreibratgeber, tja. Nachdem ich mir sie ebenfalls im zeitlichen Umfeld meines ersten Romans reingezogen habe, bin ich nun nicht wirklich schlauer.

Genau so ist es. :( weil eben versucht wird, ein paar Dummies zu behalten, die dann die Kurse besuchen sollen. Schreibkurse sprießen inzwischen wie die Pilze aus dem Boden.

@Martin: Fettnapf: Zitat: wie Du siehst, vertreibe ich mir hier im Forum die Zeit anstatt ...

Ich wollte mit diesem Eingangssatz nur sagen, dass ich mich vor der Überarbeitung meines Romans so lange drücken wollte wie möglich. Man kann den Satz ja auch anders auslegen ;)

Deine Idee mit den verschiedenen Threads finde ich sehr gut. Und jeder kann sicher etwas dazu beitragen. Perspektivwechsel bei neuer Szene ist kein Problem und mit Patchwork schon gar nicht, aber.....Vielleicht habe ich nur diese Schwierigkeit. Ich arbeite daran!

Und hier der Links zu my storys von Philipp Bobrowski: http://www.mystorys.de/autoren_hilfe/schreibhilfe.php
Die Seite ist ein wenig unübersichtlich, aber nach einigem Herumklicken klappt es ganz prächtig. Es ist für Schreibanfänger bis zum Profi einiges vorhanden.

Linda
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Schreibratgeb-Hemmung 31 Mär 2014 12:30 #412

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Hallo alle miteinander!

Als ich Lindas Beitrag las, dachte ich zunächst sie schreibt von mir. So ähnlich habe ich das auch erlebt und erlebe es immer noch. Bei mir ergab sich aber noch einiges mehr, was mich schier in den Wahnsinn getrieben hat. Die Verunsicherung dadurch bin ich bis heute nicht mehr losgeworden. Ich will euch meine Geschichte erzählen und vielleicht erkennt sich so manch anderer darin wieder.

Ich las ein Buch, das mein Mann mir geschenkt hatte. In den Jahren zuvor habe ich nur Krimis, Thriller und Dramen gelesen. Doch dieser Erotikroman war wie eine Druckwelle die eine Schale in mir brach von der ich vorher keine Ahnung hatte. Damit meine ich nicht nur die Geschichte und ihre Botschaft, sondern auch die Erkenntnis, dass Worte soviel Macht haben können. Ich hatte vorher schon oft für Andere kleinere Texte geschrieben und immer ein gutes Feedback bekommen. Aber jetzt erst wurde mir bewusst, was für ein Talent ich in mir trug und was ich daraus machen könnte.

Also schrieb ich mein Buch, meine Geschichte. Dabei merkte ich, dass das Schreiben noch einen weiteren Vorteil hatte. Endlich hatte ich eine Plattform wo ich eine Stimme hatte, wo ich meine Erfahrungen, Erlebnisse, Philosophien und Ideale ausleben und kundtun konnte. Ein Buch zu schreiben ist das perfekte Mittel zur Selbsterkennung, Reflektion und Verarbeitung seines eigenen Lebens.

Innerhalb von 4 Monaten war mein 460 Seiten-Manuskript fertig. Es war wie ein Rausch, eine Sucht die nicht enden wollte, so dass ich am Ende schon fasst enttäuscht war, dass es vorbei war. Da ich keinerlei Erfahrungen im Autorensektor hatte, bildete ich mir ein, es sei bald geschafft. Da ich aber auch Perfektionist bin und zudem mich mit meinen erotischen Ergüssen nicht blamieren wollte, meldete ich mich in einem Schriftstellerforum an, um mir Feedback zu holen. Und da platze die Bombe. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht ein so starkes Gefühl alles falsch gemacht zu haben, so sehr mit meiner Einschätzung daneben zu liegen.

Das Erste was ich um die Ohren gehauen bekam war die Rechtschreibung. Es waren keine wirklich gravierenden Fehler - für einen "Normalbürger". Aber eben absolute Kracher für einen Autor. Zeichensetzung bei wörtlicher Rede (wer braucht so etwas schon im normalen Leben). Regeln zum Aufbau von Handlung und Figuren. (Woher sollte ich wissen, dass ein Leser so schnell wie möglich wissen will wo er ist und mit wem?) Zu viele Adjektive. (Und ich dachte immer gerade mit Adjektive kann man so genau wie möglich beschreiben.) Spezifizierungen. (Wer sagt im normalen Leben schon Trauerweide, wo doch jeder genau die vor Augen hat, wenn man von einer Weide spricht.) Unbewegliche Verben. ("Er läuft" hörte sich in meinem Kopf genauso an wie "Er rannte". War ja mein Kopf und in den kann doch jeder Leser reingucken.) Bandwurmsätze. (Für mich war es nicht anstrengend meine eigenen Ergüsse in endlos langen Sätzen zu lesen. Das ist eben mein Stil und der gefällt bestimmt auch Anderen. Außerdem sieht es so herrlich kompliziert aus und beweist mein Können.) Kommasetzung. (Ach das kann später der Lektor korrigieren. Ist doch nur eine Kleinigkeit.) Am Ende hatte ich das Gefühl, dass es beim richtigen Schreiben nur auf die Rechtschreibung ankam. Handlung, Originalität bei den Figuren, Orten, Zusammenhängen u. s. w. sind da gar nicht mehr so wichtig. - Dachte ich da. Leider.

Also korrigierte ich zunächst die Fehler, was eine mehrmalige Überarbeitung von 460 Normseiten bedurfte. So jetzt müsste es aber auch gut sein. Falsch! Aber so was von falsch. Nach erneutem Versuch nun endlich mein ersehntes Feedback zu bekommen, fiel ich gleich wieder in den Dreck. Jetzt plötzlich war die Handlung unlogisch oder unglaubwürdig. Ein Dom ist doch nicht schnulzig. Eine Sub kann doch nicht selbstbewusst sein. Ein Missbrauchsopfer kann doch Gefallen an sexueller Unterwerfung finden. Ein in der Kindheit vernachlässigter Junge wird doch im Erwachsenenalter noch lange kein Psychopath. Und, und, und ... Also begann ich mit meiner Recherche. Ich nahm diese Kritik sehr ernst und brach für mich mit so manchem Tabu, um an die richtigen Informationen zu kommen. Ja ihr habt richtig gelesen. Ich habe monatelang in einem renommierten Sex-Forum recherchiert. Außerdem hatte ich Kontakte mit "Betroffenen" (sowohl SM als auch Missbrauch und Patienten mit psychopatischen Verhaltensstörungen) die ich nutzen konnte, um mir auch noch den Rest an Wissen zu beschaffen. Und dann gab es ja auch noch das Internet mit einschlägiger Literatur. Glaubt mir, so genau und umfassend habe ich mich noch nie mit einem Thema befasst. Aber es hat auch riesen Spaß gemacht. Endlich konnte ich Zusammenhänge in Verhaltensweisen nicht nur erkennen sondern sie auch analysieren. Hatte Einblicke ins Innere von Menschen ohne auch nur ein Wort mit diesen über das was ich sah gewechselt zu haben. Begriff warum Menschen dies oder das tun, obwohl es doch eigentlich total verrückt ist.

Nun gut. Eh alles recherchiert und im Manuskript auch seine endgültige und von der Fachwelt legitimierte Form hatte waren es noch einmal ein paar Überarbeitungen von 460 Normseiten.

Nebenbei las ich Schreibratgeber, merkte aber zum Glück zu diesem Zeitpunkt schon schnell, dass nicht alles taugt was in Lehrbüchern zementiert wird. Doch auch hier fand ich noch so manch hilfreichen Hinweis. Wie zum Beispiel: Prologe sind altmodisch. Ich-Perspektive ist sehr einengend, gibt einen Anfänger aber auch mehr Sicherheit. Nur perfekte Personen sind langweilig und haben einen geringen Widererkennungswert. Wendungen, besonders die unvorhersehbaren, krassen, bringen Spannung. Andeutungen und Freiraum für den Leser selbst zu Fantasieren sind spannender als möglichst detaillierte Beschreibungen. Aber zu wenig Details bei Beschreibungen wirken auch sehr schnell flach und farblos, weshalb die Spezifizierungen so wichtig sind. Perspektivwechsel sollten absatzgetrennt erfolgen, um den Leser nicht zu verwirren. Zu viele Personalpronomen bergen die Gefahr von Verwechslungen und lassen den Leser die persönliche Verbindung zur Figur verlieren.

Jetzt weiß ich zwar eine ganze Menge, aber ganz ehrlich, keine dieser Regeln könnte ich in eine Art Definition für Autoren formulieren. Und es ist mir unmöglich ausnahmslos jede Regel immer zu befolgen. Es ist wie beim Autofahren. Zunächst lernt man wann man wo was wann drücken, schieben, lenken muss. Doch niemand denkt noch darüber nach, wenn er erst einmal Auto fahren kann. Trotzdem gibt es Fahranfänger und Profis. Doch was genau der Anfänger anders macht als der Profi kann keiner von Beiden wirklich genau sagen und schon gar nicht sofort ändern.

Jetzt bin ich bei ungefähr der 8. oder 9. Überarbeitung. Die ersten Zeilen schrieb ich vor ungefähr 13 Monaten. Die letzten Überarbeitungen - vorausgesetzt ich stoße nicht auf noch mehr Regeln oder mein Stil weicht zu sehr von den Regeln ab - sind noch etwa 200 Normseiten mit mindestens 3 Überarbeitungen und noch einmal alle 460 Normseiten mit mindestens einer Überarbeitung. Wenn ich Glück habe bin ich so gegen Weihnachten fertig, oder glaube es zumindest, bis die ersten Absagen von Verlagen hageln. Bevor ich jedoch zu einem Verlag gehen kann, muss ich den zweiten Band anfangen (denn 460 Normseiten haben nicht gereicht, um die ganze Geschichte zu erzählen) und zumindest einen kompletten Plot dazu haben. Kein Verlag kauft einen ersten Band, wenn er nicht weiß ob auch der Zweite verkäuflich ist.

Leider ist es im Erotikgenre nicht so leicht einen "Mentor" zu finden. Schließlich kann ich ja nicht den 56 Jahre alten Krimiprofi fragen, ob er mal meine Sexszenen gegenlesen könnte. Also werde ich wohl da allein durch müssen und mich für die Enttäuschung später beim Versuch das Manuskript an den Mann zu bringen wappnen. Ich hege keine genauen Vorstellungen, wie erfolgreich mein Buch sein wird oder was ich daran verdienen möchte. Nur eines wäre mir wichtig, dass es überhaupt ein paar Leute gibt denen es ein paar Euro wert ist es lesen zu können. Nicht nur wegen der finanziellen Anerkennung (die sowieso verschwindend gering ist) sondern wegen der Bestätigung, dass ich trotz aller Unerfahrenheit etwas richtig gemacht habe und auf dem richtigen Weg bin. Also wegen der Selbstbestätigung.

LG Sam
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Schreibratgeb-Hemmung 31 Mär 2014 17:33 #414

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Liebe Linda,

mit ein wenig Verspätung ... das mit dem Forum statt Roman hab ich auch ganz genau so verstanden, keine Sorge :-)

Danke für den Tipp mit den Artikeln von Philipp Bobrowski. Sind schöne Sachen dabei, ist immer wieder nett, das alles aus unterschiedlicher Sicht neu beleutet zu sehen. Und jedes Mal ist immer auch mindestens ein Futzelchen neues dabei.

Wünsche einen feinen südlichen Montagabend!

Herzliche Grüße
Martin
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Schreibratgeb-Hemmung 01 Apr 2014 14:20 #424

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Samanter schrieb:
Leider ist es im Erotikgenre nicht so leicht einen "Mentor" zu finden. Schließlich kann ich ja nicht den 56 Jahre alten Krimiprofi fragen, ob er mal meine Sexszenen gegenlesen könnte. Also werde ich wohl da allein durch müssen und mich für die Enttäuschung später beim Versuch das Manuskript an den Mann zu bringen wappnen.
Da, bitte, bin ich absolut anderer Ansicht! Du kannst selbst dein Werk nicht beurteilen und rund machen, außer vielleicht es ist dein zehntes und du hast große Übung! Du solltest auf jeden Fall Gegenleser finden. Denn auch wenn Verlage viel bekommen, weißt du nicht, wie gut deren Organisation ist und dann vielleicht in einer Datenbank dein Name mit Urteil steht, was dann viel schwerer zu revidieren ist, als hättest du noch nie was geschickt. Außerdem kann ja auch der 60jährige Krimionkel gerne sowas wie 80 Days lesen oder?

Und zur Überarbeitung noch was.
Ich glaube, man kann etwas auch zerüberarbeiten. Meinen ersten Roman (ein Zweieinhalbteiler) ist in der Schublade verschwunden. Vielleicht nehme ich ihn wieder mal heraus, weiß nicht. Den hatte ich auch rund 15x überarbeitet und doch war kritisches Kommentar nicht die Mega-Begeisterung. Also besser, andere Leute zum Lesen finden, die dir kritisches Feedback geben. Und zwar bald mal. Außer du möchtest das Buch für dich als Aufarbeitung oder Selbstfindung nutzen.

Liebe Grüße
Martin
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Schreibratgeb-Hemmung 01 Apr 2014 17:13 #426

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Lieber Martin,

dann kram das Ding mal aus der virtuellen Schublade und stell den Text hier ein!
Ich komme gerade von 5 Stunden gemeinsamer Textarbeit und bin immer wieder überrascht, wie gut so etwas funktioniert. Erstens, jede (wir sind nur Frauen!) hat Zeitdruck, denn sie muss pünktlich "liefern" damit allen vorher der zu besprechende Text im Druck vorliegt und man gibt sich besondere Mühe sauber und ordentlich geschriebene Kapitel abzuliefern, damit die Runde nicht an Kleinigkeiten "hängenbleibt".

@Samanter: Wie ich dir schon geschrieben habe bin ich kein Fan von Erotik-Literatur, deshalb biete ich mich auch nicht als Testleser an. Verzeih.

Ganz liebe Grüße
Linda
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Schreibratgeb-Hemmung 03 Apr 2014 10:33 #443

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Hallo Martin!

Da, bitte, bin ich absolut anderer Ansicht! Du kannst selbst dein Werk nicht beurteilen und rund machen, außer vielleicht es ist dein zehntes und du hast große Übung!

Martin, mit diesem Satz hast du mir eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen. Ich dachte tatsächlich, dass Autoren in diesem Genre zumeist alleine arbeiten. Nach meinen Erfahrungen fühlen sich viele Betaleser eher peinlich berührt, wenn sie erotische Texte nach den Regeln der Schreibkunst "auseinandernehmen" sollen. Bei intimen Stellen ganz genau hinschauen und die Worte "in den Mund" nehmen schien eine unüberwindbare Hürde zu sein. Deshalb habe ich öffentlich noch nie eine Sexszene eingestellt, sondern nur die Unverfänglicheren. Nur 2 Freunden habe ich auch die Sexszenen gezeigt. Leider waren das aber keine Autoren, so dass ich da auch nur ein allgemeines Feedback wie "ja toll", "gefällt mir" oder "Ja, das ist schon sehr erregend" bekommen habe. Das hilft mir natürlich nur wenig.

Außerdem kann ja auch der 60jährige Krimionkel gerne sowas wie 80 Days lesen oder?

Ja, richtig! Aber woher weiß ich das? Übrigens "80 Days" fand ich jetzt nicht so toll. War mir zu viel Sex und zu wenig Leben.

Ich glaube, man kann etwas auch zerüberarbeiten.

Verschlimmbessern, kaputtüberarbeiten, stumpfschleifen ... Ja, diese Phase hatte ich auch schon. Das passiert meist dann, wenn zu viele Kritiker am Brei rumrühren. Es ist schwierig Leute zu finden die ähnlich ticken wie du und deren Schreibstil deinem ähnlich ist. Alle anderen aber geben deinem Text zu viel fremdes hatte ich immer das Gefühl. Ich hoffe, dass das bei richtigen Profis anders ist.

Hallo Linda!

Ich ringe schon eine gefühlte Ewigkeit mit dem Gedanken es endlich anzupacken und ein Kapitel einzustellen. Nicht weil ich die Kritik fürchte, sondern weil mir bewusst ist, dass dann schnelles, konzentriertes und vor allem kontinuierliches Arbeiten unumgänglich ist. Ich würde mich schrecklich fühlen, wenn ich nicht schnell genug wäre, weil wieder einmal etwas dazwischen kommt. Außerdem muss ich die letzten 150 Normseiten noch aus der Rohfassung schälen und bin mir nicht sicher, ob es Sinn macht vorher schon mit dem Feinschliff anzufangen. Was meinst du?

Dass du kein Fan von Erotikliteratur bist, hattest du mir ja schon gesagt. Das ist kein Problem für mich und dafür musst du dich auch nicht entschuldigen. Ich lese auch nicht alles. Wer tut das schon? Ich kann nur hoffen, dass es in unserer kleinen Runde überhaupt jemand gerne tut. Aber das werden wir dann ja sehen.

LG Sam
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