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THEMA: Kritik und Umgang

Kritik und Umgang 25 Apr 2014 14:54 #576

  • Martin
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Liebe Mitforlinge :-)

ich glaube in jedem Forum, in dem Schreibkritik betrieben wird, taucht das Thema des Umgangs mit und der Weise von Kritik auf. Hier bei uns empfinde ich den gegenseitigen Umgang sehr achtsam und angenehm. Trotzdem möchte ich das Thema auf einer allgemeineren Ebene gerne anschneiden, weil es nicht nur bei Schreibkritik, sondern allgemein interessant ist. Im Thread Autorenleben finde ich es passend, da ja jeder, die/der sich ernsthaft mit dem Schreiben beschäftigt, damit konfrontiert wird. Auch denke ich, dass es ganz gut als öffentliches Thema passt, da es eben allgemeineren Charakter hat, wie wir gleich sehen werden.

Mit den Begriffen Offenheit und Kritik kratzt man an psychologischen Wurzeln. Denn jeder möchte gerne offen seine Kritik äußern und niemand will Kritik hören. Aber warum ist das so?

Wir haben Werte, die aussagen, was wir für wichtig, gut, schlecht, falsch, moralisch, ethisch etc, halten. Diese Werte stellen unsere persönliche Existenzgrundlage dar! Automatisch - und das heißt unbewusst - stufen wir alles, was diesen Werten widerspricht als feindlich ein, weil es nämlich unsere Grundlage bedroht.

Auch wenn das nur drei Sätze waren, so beschreiben sie den Grund für praktisch alle Auseinandersetzungen bis hin zu diversen Beziehungsproblemen. Dazu kommen nun Konstitutionen, die sich zwischen den zwei Polen ›heikel/empfindlich‹ und ›dicke Haut‹ bewegen. Wobei ich dicke Haut nicht wirklich als Tugend sehe, denn oft ist das nur Verdrängen und Nichtwahrhabenwollen, was mit überzogenem Selbstbewusstsein kompensiert wird bzw. beschützt wird. Dünnhäuter reagieren mit Rückzug. Wir haben es also auch hier mit den zwei archaischen Reaktionen Angriff oder Flucht zu tun.

Mit dem mittlerweile fast in Schrifstellerkreisen als gesellschaftliche Muss geltenden Bedürfnis nach Kritik an den selbstverfassten Texten begeben wir uns auf ein Pflaster, das nach diesen Ausführungen nur heiß sein kann. Solange sich Dickhäuter treffen geht alles gut. Aber was ist bei gemischthäutlichem Kontakt ...?

Vorher aber ein anderer Aspekt: Stellungnahme zu Texten - ich sage absichtlich nicht Kritik - hat zwei Aspekte. Für den sich Äußernden geht es darum, das möglichst frei tun zu können. Für den Empfangenden besteht das Geschenk darin, einen Blick in das Wesen des sich Öffnenden tun zu können. Dem stehen zwei Schwierigkeiten im Weg: Der sich Äußernde sollte, wenn er schon bereit ist, sich zu öffnen, nicht Rücksicht darauf nehmen müssen, ob er emotionale Fettnäpfe betritt. Gleichzeitig aber geht es um Kritik, also heikel, und deshalb ist Achtsamkeit angesagt. Der Empfangende tut sich meist schwer, die Stellungnahme als nur solche zu sehen, weil meistens seine Werte angekratzt werden.

Problem bei Dickhäutern: Ausgabe: Polterndes, gedankenloses Von-sich-Geben ohne Rücksicht auf Verluste. Empfang: Bezieht 'Kritik' nicht auf sich.

Problem bei Dünnhäutern: Ausgabe: Übervorsichtige Formulierungen mit Entschuldigungen für die Offenheit, um damit Achtsamkeit zu dokumentieren. Empfang: Leicht verletzt, schneller Rückzug, wenn die Umgebung zu rau ist.

Beides kann mühsam werden: Hier das ständige Überlegen ›sag ich's achtsam genug?‹ dort das Beteuern ›ich meine es nicht bös‹.

Dass diese Gegebenheiten natürlich in Wirklichkeit Lebensaufgaben für beide sind, für die einen, sich in Achtsamkeit zu üben, für die anderen, aus sich herauszugehen und Selbstbewusstsein zu erlangen, liegt auf der Hand. Aber damit möchte ich das Thema nicht als Monolog stehen lassen (wofür dann überhaupt?), sondern mich würde es freuen, wenn eine Unterhaltung zustande käme, wie man diesen Vorgang des Abgleichs gestalten kann? Was könnte man für Schritte überlegen, wenn dem einen der Gedanke ›das ist mir zu roh, ich ziehe mich zurück‹, dem anderen ›das ist ja ein Kindergarten, zu blöd, ich hau ab‹ kommen? Wie kann man zu einem zwanglosen Austausch gelangen?

Jetzt bin ich neugierig :-)

Schöne Wochenend-Grüße
Martin
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Kritik und Umgang 26 Apr 2014 16:47 #586

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Lieber Martin,

ja, Dein Thema ist spannend - keine Frage!

Wenn ich mich auf der von Dir vorgegebenen Skala einstufen müsste, würde ich mich nicht als 'Dickhäuter' sehen, obwohl meine Haut eine ganze Menge vertragen kann.

Anmerkungen/Hinweise/Kritiken werden - wie Du richtig sagst - stets vor dem Hintergrund des eigenen Wertekanons gemacht. Aber wichtig für mich ist auch die Erfahrung (Lebens- und Schreiberfahrung), die hinter den Kritiken steht.

Und besonders wichtig für mich: die nachfolgende Diskussion. Oft ist es doch so, dass man sich eine Geschichte/Szene im Kopf zurechtlegt und dann drauflos schreibt, ohne die Sache wirklich zu Ende gedacht zu haben, oder ohne dabei zu bedenken, dass der Leser nicht über das gleiche Hintergrundwissen verfügt, wie der Autor. Durch die Diskussion ist der Autor gezwungen, sich überlegt und klar auszudrücken und zu argumentieren.

Eine feine Sache, die uns allen weiter hilft, finde ich!

Herzliche Grüße
Ernst
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Kritik und Umgang 26 Apr 2014 17:06 #587

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Lieber Ernst,

das ist eine sehr abgeklärte Sicht! Wenn man es immer schafft, die Kritiken auf das rein Sachliche zu reduzieren, ist es ein sehr nützlicher Prozess für die Geschichte. Aber wie in allen Lagen ist es eben schwierig, die Psyche außen vor zu halten.

Bewundernswert, wenn man das so sehen kann wie du und es gelingt, nicht diese inneren Programmchen starten zu lassen.

Laufen die bei dir nicht ab oder hängt es von der Kompetenz des Kritikers ab? Wie gehst du damit um, wenn jemand mit wenig Ahnung deine Sachen heruntermacht, weil sie ihm nicht gefallen und vielleicht nur ein kleiner Teil hilfreich ist? Wie gehst du damit um, wenn so jemand den Text nicht verstanden hat und zudem unempathisch argumentiert?

Viele Grüße
Martin
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Kritik und Umgang 26 Apr 2014 17:27 #588

  • ernstbay
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also wenn jemand meinen Text 'nicht verstanden' hat, dann liegt es meist an mir! So lange eine Kritik sachlich ist, kann man jederzeit sein Gegenargument vorbringen. Argumentation ohne Empathie? Dagegen ist kein Kraut gewachsen.

Kritik, die nicht den Text betrifft, sondern mehr die Person des Autors kann ich ggf. ignorieren.

Wichtig: die letzte Entscheidung hat immer der Autor - unabhängig davon ob er 'recht' hat, oder nicht, bzw. ob er mit seiner Darstellung bei Leser ankommt, oder nicht.

Aber: er muss dann auch die Konsequenzen akzeptieren!

Ernst
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Kritik und Umgang 30 Apr 2014 11:44 #622

  • Samanter
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Hallo ihr Zwei!

Das Thema hat mich auch sehr lange beschäftigt, vor allem zu Anfang als meine "Autorenlaufbahn" gerade erst begann. Autorenlaufbahn ist natürlich total übertrieben, aber mir fällt gerade kein anderes Wort ein.

Auch wenn ich hier aus meinem ganz persönlichen Nähkästchen plaudere und damit vielleicht Gefahr laufe, dass meine Kritiken mit ganz anderen Augen gesehen werden, will ich es trotzdem einmal tun.

Martin werde ich diese Taktiken wohl nicht erklären müssen, da ich weiß, dass er beruflich schon länger damit zu tun hat. Aber für Ernst und die anderen die vielleicht noch reinschauen, sind sie vielleicht hilfreich.

1. Ich stelle mich niemals über den anderen sondern bleibe immer etwas unter seiner Augenhöhe.

Auch wenn ich vielleicht glaube viel mehr Erfahrung zu haben, woher weiß ich das genau? Und die von Martin erwähnte Flucht- oder Angriffsreaktion wird m. E. n. nur ausgelöst, wenn man sich einem vermeintlich Stärkeren gegenüber glaubt. Durch eine bescheidene Haltung werde ich aber nicht als Stärker und somit nicht als Gefahr gesehen. Außerdem gebe ich dem Kritisierten das Gefühl, selbst entscheiden zu dürfen, ob er meine Kritik annehmen will oder nicht ohne mich evtl. zu beleidigen, wenn er sie nicht annimmt.

2. Ich versuche meine Kritik möglichst in der Sandwich-Methode zu verfassen.

Was heißt das? Nun, ganz einfach. Ich versuche meine Kritik zwischen einer Scheibe Lob am Anfang und einer Scheibe Motivation und Herausstellen der Stärken am Ende zu verpacken.

In der Praxis könnte das so aussehen:

Lob:
"Deine Geschichte ist sehr interessant. Ganz besonder gefällt mir ..."
Kritik:
"Leider sind dir bei ... m. M. n. ein paar Fehler unterlaufen. ..."
Motivation und Herausstellen der Stärken:
Du hast ein sehr gutes Gespür für ... Das Andere kriegst du auch noch hin. Ich freue mich schon auf deine Korrektur und bin neugierig wie es weiter geht."

3. Ich gehe nie davon aus, dass das was ich sage auch richtig ist, sondern rechne immer damit, dass ich mich geirrt oder etwas falsch verstanden habe. Damit schaffe ich für mich auch gleich die richtige Einstellung, um selbst zu lernen.

Obwohl ich mich selbst auch zu den Sensibelchen zählen, fahre ich auch beim beurteilen von Kritiken an mich mit dieser Methode recht gut.

LG Sam
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