Wann bin ich ein Schriftsteller?
Ich sehe mir gerade das Titelbild auf der Patchwork-Seite an:
Ein richtiger Schriftsteller ist im fortgeschrittenen Alter, männlich, raucht Pfeife oder Zigarre oder im Mindestfall eine Packung Camel pro Tag. Er trinkt zwei Liter Kaffee, dazwischen Whisky mit Eis, schlägt sich die Nächte um die Ohren, weil ständig Bestseller aus seiner Feder sprudeln. Da ihm seine Kreativität keine Zeit zum Rasieren lässt, trägt er stets einen Dreitagebart. Zum Duschen reicht es vermutlich auch nicht regelmäßig.
Wenn man mit ihm spricht, ist er entweder geistesabwesend und in Gedanken mit seinem nächsten Cliffhanger beschäftigt, oder er gibt hochphilosophische Texte und sonstige tiefsinnige Weisheiten zum Besten. Er lebt und arbeitet alleine, seine begrenzte Lebenszeit möchte er nicht mit einem weiblichen Gegenstück vergeuden. Und er lebt nicht nur alleine, er arbeitet alleine vor sich hin.
Oder etwa nicht?
Die meisten Schriftsteller, die ich bisher kennengelernt habe, passen nicht im Mindesten in dieses Schema. Ich kenne junge, alte, männliche, weibliche, verheiratete, Singles, glückliche, unglückliche, erfolgreiche und weniger erfolgreiche Schreibwütige. Die Welt der Autoren ist so bunt wie jede andere. Eines haben sie aber gemeinsam: Sie frönen ihrem Hobby im stillen Kämmerlein. Schreiben ist eine einsame Tätigkeit.
Was ist das Problem?
Wer mit seinem Werk die Herzen der Menschen erfreuen will, der ist auf Rückmeldung angewiesen. Wenn man zuhause an seinem Arbeitsplatz Geschichten entstehen lässt, dann schreibt man die nicht, weil man sie schlecht findet. Man schreibt aus tiefstem Herzen und mit Leidenschaft und man denkt, dass man ein wahres Meisterwerk erschaffen hat, des Nobelpreises für Literatur durchaus würdig.
Mag ja sein! Aber man wird es niemals feststellen, wenn keiner die Geschichten liest.
Oder das Gegenteil ist der Fall: Man denkt, dass man das, was man fabriziert hat, niemals jemandem zeigen darf, aus Angst, jeder im Land hät einen für einen ein lausiger Schriftsteller ist. Denn es ist gänzlich unmöglich, dass irgendein lausiger Otto-Normalverbraucher etwas Brauchbares schreiben könnte.
Mag ja sein! Man wird es nie erfahren, wenn man keine Testleser hat!
Geschichten-Werkstatt
Die Lösung dieses Problems ist die Geschichten-Werkstatt in diesem Forum. Ein geschützter Bereich, auf den die Öffentlichkeit keinen Zugriff hat. Hier tummeln sich Leute, die selbst Geschichten einstellen, und die je nach Lust, Laune und Freizeit bereit sind, die Geschichten gegenseitig
lesen und zu kommentieren. Also keine Angst. Eintreten und wohlfühlen, bitte.
Wer sollte Texte ins Forum stellen?
Es ergibt sich von selbst: wer Texte ins Forum stellt, ist vom Nobelpreis (noch) weit entfernt. Der eine ist ein bisschen weiter, der andere noch nicht, aber letzten Endes sind wir alle auf demselben steinigen Weg unterwegs. Niemand sollte sich gehindert fühlen, einen Text einzustellen, es sei denn, er weiß selbst, dass er sich keine Mühe gegeben hat. Aber das könnte man ändern.
Welche Texte gehören ins Forum?
Um einen Text einzustellen, muss man keinen fertigen Roman in der Schublade haben. Da reicht eine Kurzgeschichte, das erste Kapitel eines erträumten Buches, verbunden mit der Frage „Gefällt es euch?“ Oder „Was kann ich besser machen?“
In welchem Stadium sollten die Texte sein?
Die Texte müssen nicht „fertig“ sein, ein Text fühlt sich wohl niemals fertig an, aber er sollte so geschrieben sein, dass man ihn gut findet und selbst nicht mehr weiter kommt. Das ist der Punkt, an dem Testleser einsteigen sollten.
Wer ist als Testleser geeignet?
Wer legt schon Wert auf die Meinung eines Laien? Ich weiß doch gar nicht, ob ich das richtig mache. Diese Frage ist im Forum aufgetaucht. Meine Antwort war: Du musst kein Autor sein, um als Testleser zu fungieren, du musst nur ein erfahrener Leser sein.
Ich denke, dass alle, die gerne schreiben, auch gerne lesen. Also sollte jeder, der im Forum ist, auch in der Lage sein, eine persönliche Meinung abzugeben, und sei es nur ein „Gefällt mir“ oder ein „Oh, ne, das lieber nicht“. Jede Meinung hilft dem Autor weiter.
Wie wird testgelesen?
Es gibt keine Vorgaben, wer testlesen kann oder soll. Wer immer im Forum ist und einen Text sieht, der ihn interessiert, kann ihn lesen und seine Meinung dazu hinterlassen, gleichgültig, wie lange der Text schon eingestellt ist oder wie viele Kommentare bereits hinterlassen wurden. Jede weitere Meinung ist ein wertvoller Beitrag.
Natürlich stehen die zuletzt eingestellten Texte zuerst im Fokus, weil sie eben ganz oben stehen. Und wenn ein Text eingestellt wurde, zu dem es noch keine Antworten gibt, sollte man sich bewusst machen, dass irgendwo ein Mensch mit klopfendem Herzen auf den Bildschirm starrt und sehnsüchtig auf Rückmeldung wartet.
Wie wird kommentiert?
Die Texte werden als rtf eingestellt, weil die Jeder öffnen kann, unabhängig von seiner Software. Dann kann man wahlweise den Text als Ganzes lesen und einen allgemeinen Kommentar ins Forum schreiben (sowas wie „das ist mir zu langweilig“ oder „das Ende ist nicht glaubwürdig“ oder auch „ich würde gerne mehr lesen“). Oder man schreibt Korrekturen mitten in den Text, dann sollte man die irgendwie kenntlich machen, damit der Autor sie findet, eine andere Schriftfarbe oder ähnliches. Oder die Software bietet die Möglichkeit, Kommentare zu setzen. Das geht zum Beispiel mit Word oder mit Libre Office.
Man markiert eine Textstelle, geht auf Kommentar einfügen und schreibt in den Kommentar, was man zu sagen hat.
Das können banale Tippfehler sein, aber viel wichtiger sind Hinweise, was einem beim Lesen auffällt. Logikfehler, die man erkannt hat („wieso geht beim Öffnen des Fensters eigentlich keine Alarmanlage an?“), Verständnisfehler („wo kommt denn jetzt plötzlich dieses Buch her?“), oder auch „das müsste viel dramatischer sein“, „das finde ich saukomisch“, „die Szenen wechseln zu schnell“ oder „ich verstehe das nicht, ist das jetzt ein Traum?“. Man darf aber auch gerne hinzufügen, was einem besonders gut gefallen hat, denn das motiviert ungemein.
Muss ich als Autor die Korrekturen übernehmen?
Der Testleser sollte seine ehrliche persönliche Meinung äußern. Der Autor kann dann entscheiden, ob er die Kritik für sich annehmen will, oder ob er lieber bei seiner Version bleibt. Auch das sollte ein Testleser akzeptieren.
Das Kommentieren ist nicht immer einfach, weil man die Tendenz hat, dem Autor auf die Schulter zu klopfen, das ist einfach und stressfrei. In diesem Fall muss man sich bewusst machen, dass man dem Autor damit nicht hilft! Und man muss anerkennen, dass es Mut braucht, die wirkliche Meinung zu äußern, auch wenn sie nicht so positiv ausfällt. Das bringt uns gleich zum nächsten Thema.
Über große, grüne, schleimige Kröten
Wenn ich einem Autor sagen muss, dass sein Text bei mir nicht angekommen ist, dann ist das für mich unangenehm. Allerdings nicht vergleichsweise so unangenehm wie für den Autor. Faktisch gesehen geht es nur um einen Text, ein paar Worte auf dem Bildschirm. Trotzdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass man das geliebte Baby eines Autors vor seinen Augen in Stücke reißt, und dass er sich auch persönlich angegriffen fühlt. Das ist so schwer zu schlucken wie eine Kröte, und einer der Gründe, warum man sich dieser Prozedur gerne entzieht.
Genau deshalb ist es so wichtig, nicht nur zu äußern „dein Text taugt überhaupt nichts“ oder „ich mag nicht weiterlesen“, das sind vernichtende Äußerungen, die verletzen und den Autor nicht weiterbringen. Es ist wichtig, die Kommentare zu begründen, zu erklären, was man besser finden würde und – gaaaaaaaaaaanz wichtig ! – auch zu kommentieren, was man gut findet! Das ist ein Aspekt, der häufig vergessen wird.
Fortschritte
Hat man all das beherzigt, dann – so habe ich die Erfahrung gemacht – kommt man mit Lichtgeschwindigkeit weiter und schreibt nach kurzer Zeit Texte, die viele Menschen begeistern, auch wenn man nicht im fortgeschrittenen Alter ist, männlich, eine Packung Camel pro Tag raucht und zwei Liter Kaffee am Tag trinkt.
Der Dank an die Testleser
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Testleser sind kein Selbstzweck und keine Selbstverständlichkeit. Sie stellen ihre Kraft und ihre Zeit selbstlos in den Dienst einer guten Sache. Sie selbst haben nicht den geringsten Vorteil daraus, müssen Mut aufbringen, um Andere zu besseren Autoren zu machen.
Das Mindeste, was man ihm entgegenbringen kann, ist Dank für die Hilfe, oder bestenfalls die Revanche, wenn er seinerseits Texte einstellt.
Und nun: Frisch ans Werk!