Man kann m.E. nach keine allgemeingültigen Aussagen über Rückblenden machen. Ich sehe allerdings keinen Grund, warum sie im Film anders funktionieren sollen als in einem Roman. Alles, was in einem Film möglich ist, ist auch in einem Buch möglich und umgekehrt - bezogen auf die Form der Erzählung. Wobei Filme natürlich einem ganz anderen Rhythmus folgen, als Bücher. Die Erzählweise von "Pulp Fiction" zb, also diese ineinandergreifenden zeitversetzten Episoden, sind vorher schon lange in der SF Literatur zur Anwendung gekommen. Auch bei Jackie Brown wurde diese Technik angewandt, besonders exzessiv allerdings in der Serie "Leverage".
Und es gibt natürlich auch Elemente, die im Buch nicht funktionieren, wie zB. das "Phoofing" in der Serie NCIS.
Für mich gilt eine einfache Regel: Wenn irgendein erzählerischer Trick dazu führt, die Geschichte spannender, witziger, flüssiger oder schlicht BESSER zu machen, dann wende ich ihn an (vorausgesetzt ich kenne ihn oder erfinde ihn sogar selbst). Wenn ich aber das Gefühl habe, er nervt, dann lasse ich ihn weg.
Bei meinem Kriminalroman "Shabu" zB. beginne ich ebenfalls mit einer Rückblende. Dazu entschied ich mich aber erst ab der 5. Überarbeitung, alle frühen Versionen waren strikt linear erzählt. Dann erhielt ich ein Stipendium der Bertelsmann Stiftung für ein 2-wöchiges Krimiautoren Seminar, in welchem ich mein damals noch unfertiges Buch vorstellte. Die Cheflektoren der Krimi Abteilungen von Rowohlt und Heyne schlugen mir beide sofort vor, eine Rückblende einzusetzen, um den Leser sofort in die Story hineinzuziehen. Ich zeige jetzt hier im einzelnen, was geschieht, um das zu verdeutlichen:
VERSION 1 (alte Version ohne Rückblende):
Der Ich Erzähler, ein ehemaliger Polizist, der nun als Privatdetektiv arbeitet, hat einen langweiligen Auftrag: er soll für eine eifersüchtige Ehefrau deren Ehemann überwachen und parkt gelangweilt vor einer Kneipe um durch die Butzenscheiben den untreuen Gatten zu beschatten (reimt sich, lol). Plötzlich steigt eine atemberaubende eurasische Schönheit in seinen Wage, weil sie ihn der gelben Farbe wegen mit einem Taxi verwechselt. Er lässt sich darauf ein, fährt sie zum Bahnhof, wird verfolgt, Verfolgungsjagd, er gewinnt, sie kommt mit zu ihm, sie vögeln, sie heuert ihn an bla bla etc....
VERSION II (die Finalversion)
Ein Privatdetektiv liegt auf einer Verkehrsinsel in Berlin, bewusstlos. Neben ihm, auf einem Fetzen japanischen Seidenpapiers, sein Ohrläppchen. Im Krankenhaus bekommt er Besuch von einem Kriminalpolizisten, den er angeblich kennt, an den er sich aber nicht erinnern kann. Dieser wirft ihm vor, in eine Mordserie verwickelt zu sein. Und dann fällt ihm plötzlich wieder alles ein: Er sass in Frankfurt vor einer Kneipe im Auto und beobachtete einen untreuen Gatten.......
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Soweit die Introduktion. Ich denke, hier wird schnell klar, warum ich mich für eine Rückblende entschieden habe. Die Story wirkt dadurch einfach viel geheimnisvoller und macht neugierig darauf, wie das angefangen hat. Eine solche Rückblende funktioniert, weil sie zur Geschichte beiträgt. Bei Simmel funktionieren sie oft nicht, weil sie willkürlich erscheinen.