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THEMA: Direkte Rede ohne Anführungszeichen

Direkte Rede ohne Anführungszeichen 24 Mär 2014 12:05 #302

  • Martin
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Die Wogen gingen ja schon einigermaßen hoch und bisher waren es theoretische. Das soll sich jetzt ändern. Daniel Anderson, von dem demnächst ein paar Kurzgeschichten und ein Roman bei Orange Cursor erscheinen werden, hat mir gestattet, den Anfang einer Short Story als Beispiel hier hereinzustellen. Die gesamte Geschichte gibt es demnächst in der Edition Kurzgeschichte im Shop.

Bin neugierig über eure Kommentare!

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Frau ohne Land von Daniel Anderson

Reisezeit

Julia war das, was man eine wirkliche Schönheit nennt, sie hatte etwas Elfenhaftes, Feengleiches. Ihr fast symmetrisches Gesicht wurde von naturblonden Haaren umrahmt, ihrer Haut sah man an, dass sie eine ebensolche Samtheit haben musste wie das Fell eines Bargusinskyzobels, ihr schlanker Körper war, obwohl ihre Brüste kaum die kleinste Körbchengröße füllten, derartig gut proportioniert, dass jedem Mann der Atem stocken konnte. Ihre Beine, die dazu berufen schienen, Werbung für exklusive Strumpfhosen zu machen, endeten oben in einem Po, der selbst bei Frauen Analphantasien auslösen konnte und den Ovid mit Sicherheit besungen haben würde. Julias Lächeln war so entwaffnend, dass niemand, der ihr begegnete, widerstehen konnte, man konnte gar nicht anders, als ebenso zu lächeln. Dabei war es ganz egal, dass bei den meisten dieses Lächeln im Vergleich zum Original nur ein schiefes Grinsen war, bestenfalls.

Ihre Freundin Charlotte, deren Attraktivität unbestritten war, die aber schon wegen ihrer Größe neben Julia den Eindruck einer unbeholfenen Giraffe machte, Charlotte also, sagte einmal, dass Julia wahrscheinlich zehn Mal 'Hier' gerufen habe, als die Schönheit verteilt wurde.

Julia wusste schon sehr früh, was sie ihrem Aussehen schuldig war und schenkte ihrer Erscheinung die gebührende Aufmerksamkeit. Mindestens zwei Abende in der Woche widmete sie der Pflege ihrer Schönheit. Sie rasierte die Stellen, die zu rasieren waren, salbte ihre Haut mit wertvollen Essenzen, feilte und lackierte ihre Finger- und Fußnägel, Masken, Bäder in an ätherischen Ölen reichem Wasser und reinigende Tees in kleinen Schlucken. Ein besonderes Ritual aber zelebrierte Julia mit ihren Haaren. Neben speziellen Shampoos und fein darauf abgestimmten Pflegespülungen und Haarwassern wurde stundenlang mit ionisierenden Bürsten gestriegelt, bis ein nahezu überirdischer Glanz davon ausging.

Eigentlich war es nur zu logisch, dass Julia, was Männer anbetraf, Serientäterin sein musste.

Was unterscheidet Männer denn von Bananen, hatte sie ihre Freundin vor einigen Jahren gefragt, als sie an einem Abend bei Wein und Käse und Ravel in einem Ferienhaus in der Toskana saßen.
Nichts natürlich, außer der Tatsache, dass Männer nicht auf Bäumen wachsen. Würden sie das tun, wären sie perfekt. Man könnte sie pflücken, ihrem Zweck gemäß einsetzen und die Schale in die Biotonne entsorgen, fertig.

Charlotte hatte gegrinst, aber das alles machst du doch ohnehin schon so, nur, dass deine Biotonne anders aussieht.

Jetzt grinste Julia schief, stimmt eigentlich. Jedenfalls geht mir das Gejammer schon immer auf die Nerven: 'Oh, meine Frau versteht mich einfach nicht. Oh, ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll, wenn ich nach Hause komme. Oh, warum trampelst du denn so auf meinen Gefühlen rum'. Ich brauch' dieses Gezeter nicht, ob der Typ nun nach Hause geht, nachdem er doch nur in mich rein onaniert hat, keine Sentimentalitäten, keine tagelangen Anrufe oder Überraschungsbesuche, Sonntagnachmittage bei den Eltern, Urlaube an den immer gleichen Orten und so weiter und so fort. Nein, danke, einfach widerlich.

Charlotte war im Grunde genommen derselben Meinung, natürlich, darüber war man sich im Prinzip einig. Nur hatte die Freundin seit, ja, seit wann eigentlich, tatsächlich aufgehört, Bananen zu pflücken. Sie verscheuchte jeden tiefer gehenden Gedanken ganz schnell.

Aber Julia konnte es nicht lassen, warum auch, es muss einen Grund haben, warum die auf der Welt sind, ich meine, außer, dass sie sich gut über Motoren beugen können, Bier trinken, Fußball mehr lieben alles andere, ihre Pornosammlung alphabetisch ordnen und vor dem Fernseher furzen.

Julia hatte die Jahre zwischen zwanzig und dreißig damit verbracht, sich in mehreren sogenannten 'festen Beziehungen der seriellen Monogamie' zu versuchen. Es war ihr nicht gelungen, was, davon war sie fest überzeugt, am 'systemischen Muster' lag. Was sich genau dahinter verbarg, war Charlotte nie ganz klar geworden. Soviel stand allerdings fest: es waren alles in allem freudlose Verhältnisse, von seltenen Höhepunkten abgesehen, sehr gelegentlich ein guter Fick und noch gelegentlicher der Ansatz eines guten Gesprächs, wie Julia sagte. Sobald allerdings die Reizhaftigkeit des Neuen, des 'Verbotenen' oder eben beides verschwunden war oder auch kein Kampf mehr von Nöten schien, den Mann irgendwie und durch irgendetwas in der Nähe zu halten, fanden auch diese Höhepunkte nicht mehr statt.

Manche nennen es Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und ständig andere Ergebnisse zu erwarten, dachte Julia in kurzen Momenten des Zweifels. Aber sie wischte sie weg, wie man einen Tisch nach einem krümeligen Frühstück abwischt – schnell und effizient.

Manchmal waren die Männer einfach nur eine Projektion, eine Reflektion ihrer selbst, die sie für so etwas wie Liebe hielt, manchmal aus verschiedenen Gründen so unerreichbar und fern, dass sie von vornherein kaum mehr als Besucher waren und manche erreichten nicht einmal diesen Status. Sie ließ sich auf Blind-Dates ein, ließ sich von Freundinnen überreden, den nächsten, der zur Tür hereinkommt, in ein Abenteuer zu verwickeln oder klickte einfach in irgendwelchen Chatrooms wahllos alle möglichen Figuren durch, mit dem Ziel, innerhalb der nächsten Stunde Sex zu haben. Sie pflegte die Attitüde der Weltfernheit, was die Männer rasend zu machen schien und sie, anstatt dass sie davon abgeschreckt wurden, nur noch obsessiver versuchten, Julias romantische Gefühle zum Übersprudeln zu bringen. Aber, so behauptete es Charlotte seit einiger Zeit, diese Quelle gäbe es gar nicht bei ihrer Freundin oder es gäbe sie eben nur unterirdisch, und sollte jemals die Gefahr bestehen, dass sie doch das Tageslicht erreichen könnte, wüsste Julia schon, wie sie dem Samson den Garaus machen könnte, dann wüsste sie schon, wie ihm die Haare zu schneiden wären.

Dabei war es ganz und gar nicht so, dass Julia etwas Entscheidendes vermisste, so war es wirklich nicht. Sie hatte, dank ihrer überbordenden Intelligenz, eine großartige Karriere hingelegt. Nach einem exzellenten Studium und einer summa-cum-laude-Promotion über das Verhalten von Rattenherzen bei Entzug von Stickstoff, übernahm sie zunächst eine Assistentenstelle an der Uni, um schon nach einem Jahr das Angebot anzunehmen, als Abteilungsleiterin an ein Institut der freien Wirtschaft zu gehen. Schnell stieg sie auch hier weiter nach oben und kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag machte man ihr das Angebot der Teilhaberschaft. Sie verdiente viel Geld und hätte es sich leisten können, da sie sparsam, fast geizig lebte, mehrere Jahre einfach auch mal nichts zu machen. Daneben pflegte sie sogenannten gesellschaftlichen Umgang mit prominenten Designern, Musikern und Schauspielern. Sie ging zu Filmpremieren, Geburtstagspartys, dem jährlichen Neujahrempfang des Bürgermeisters, wurde Mitglied in einem Golfclub, trat dem Theaterförderverein bei und rückte in den Vorstand der Akademischen Gesellschaft auf –freilich, sie war überall die Zierde dieser Körperschaften und Treffen und sie konnte die Aufmerksamkeit sehr wohl genießen, aber es machte ihr nichts aus, es tat nichts mit ihr. Ihr Wesen veränderte sich dadurch nicht und instinktiv gehorchte sie den Erwartungen, die erfolgreiche und ob ihrer unvergänglich scheinenden Jugend in anderen Sphären schwebende Unternehmerin zu sein. Sie zählte tatsächlich auch einige Männer zu ihren guten Freunden. Die waren entweder schwul oder sie durchschauten Julia in ihrer Oberflächlichkeit auf emotionaler Ebene sehr schnell und verloren rasch jegliches sexuelles Interesse, was sie beide, Julia und die Männer, nicht dran hinderte, angeregte und intensive Zeiten mit vorwiegend psychologischen Gesprächen zu verbringen. Und falls doch mal einer den Verstand verlor, wusste Julia sich ad hoc so egoistisch, so egozentrisch, so gemein und abweisend zu geben, dass der arme Kandidat entnervt und geheilt aufgab.

Warum sie also immer wieder mit irgendwelchen Kerlen, deren Namen sie oft schon in der Sekunde vergessen hatte, als man ihn ihr sagte, ins Bett oder auch nur auf den Rücksitz eines Autos ging, war ihr nicht wirklich klar. Irgendwie war es wohl bei ihr so, wie ihre Großmutter aus einem schier unerschöpflichen Reservoir von Weisheiten aufzurufen wusste, was der Mensch braucht, muss er haben. Und, ja, irgendwie brauchte sie Sex, das schon, aber wenn, dann bitte ohne Sentiment, ohne Romantik und bitte ohne das, was man als Paarbeziehung bezeichnen sollte, danke, das war ihr gründlich vergangen, ein für alle mal.
Letzte Änderung: 24 Mär 2014 12:11 von Martin.
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