Liebe Dornpunzel,
Die Ich-Perspektive. Kurz gesagt: Das ist ja interessant
Dornpunzel schrieb:
Natürlich ist das Argument, dass diese Perspektive der direkteste Draht zwischen Protagonist und Leser ist, nicht zu widerlegen. Vielleicht ist es genau das, was mich stört.
Warum stört dich das? Hinter dem Stören liegt ja immer viel mehr als die logischen Argumente, die du anschließend aufzählst. Ich weiß, manche Leute mögen die Ich-Perspektive nicht, aber ich vermute, da stecken andere Gründe dahinter.
Dornpunzel schrieb:
Auch beim Schreiben schränkt mich diese Perspektive zu sehr ein. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich aus dieser Perspektive nur eine Seite erzählen kann
Natürlich, das ist ja auch Sinn und Zweck der Übung. Aber Leben ist nun einmal so, du lebst dein ganzes in der Ich-Perspektive. Kann es sein, dass dich die Nähe stört? Es auf dich - nicht erzählerisch, sondern persönlich - einengend wirkt? Kann es sein, dass du einen Horror davor hast, geklammert zu werden?
Dornpunzel schrieb:
Es liegt in der Natur der Sache, dass ich aus dieser Perspektive nur eine Seite erzählen kann und dem Leser dadurch im Grunde eine Meinung aufdränge.
Mit dem, was man schreibt, drängt man dem Leser immer eine Meinung auf. Und zwar nicht die des Protagonisten, sondern seine eigene. Man kann natürlich alles so oder so sehen - Münze, zwei Seiten. Bei der Ich-Perspektive kommt man nicht aus, da tut man sich schwer, Perspektivfehler zu machen. Zudem geht es ja weniger um die meinung des Protagonisten, sondern um das, was er erlebt. Wieder stellt sich mir die Frage, warum du so auf Distanz, auf Abstand bestehst?
Dornpunzel schrieb:
Aber wenn ich eine Geschichte nur aus einer Sicht lese, ist immer derselbe gut oder böse, ganz simpel ausgedrückt. Ich bin also auf die Meinung des Protagonisten angewiesen.
Wofür gibt es Perspektivwechsel, wenn es wichtig ist, auch die andere Sicht ins Spiel zu bringen? Man kann damit ja nach Belieben spielen. Entweder du schreibst in der auktorialen Perspektive und die ist absolut öde und distanziert. Oder in der Ich- oder personalen, dann bleibt dir nichts übrig, als bei dem jeweiligen Protagonisten zu bleiben.
Außerdem kannst du ja mit so grenzwertigen Mitteln wie Vermutungen arbeiten, wie du es selbst machst, wenn sich zwei Personen gut kennen:
»"Trotzdem." Stephan nahm sein Buttermesser und durchschnitt das Packband, das den Schuhkarton zusammenhielt. Das ungute Gefühl kam schon beim Anheben des Deckels und wurde noch stärker, als er das Holzkästchen herausholte. "Ich bin gleich wieder da."
Natürlich entging ihr nicht, dass er das Kästchen alleine öffnen wollte. Natürlich fragte sie sich, was er vor ihr verbergen wollte. Doch er nahm jedes Misstrauen gern in Kauf, wenn er verhindern konnte, sie und Henry
keiner unnötigen Gefahr auszusetzen.
Das Kurive hier grenzt schon kkanpp an ein Perspektivproblem, aber du hast das raffiniert mit ›natürlich‹ entschärft. (abgesehen davon faällt mir eben auf, dass es beim Unterstrichenen ›einer‹ heißen muss, sonst wäre er ein übler Sadist
«
Dornpunzel schrieb:
Ist genau so, wenn mir eine Freundin erzählt, wie doof ihr (Ex-)Freund zu ihr war. Auch da erfahre ich nur eine Sichtweise.
Wenn es wichtig ist, auch seine Meinung zu erfahren, dann schieb doch eine Szene aus seiner Perspektive ein. In einer Szene kannst du beide Sichtweisen ohnehin nicht lösen. Es kann die Hauptfigur in Ich-P. sein, die zweite ebenfalls oder personal - geht ja alles. Bloß nie auktorial wo alles ein Mischmasch ist.
Dornpunzel schrieb:
Nutze ich diese Perspektive als Autor nehme ich mir doch zum großen Teil die Möglichkeit, dem Leser andere Personen und ihre Beweggründe/Geschichte/Charakter näher zu bringen. Gleichzeitig zeige ich ihm nur eine Wahrheit und zwar meine bzw. die meines Protagonisten. Finde ich nicht gut. Trifft natürlich auch dann zu, wenn es nur eine einzige personale Perspektive in einem Roman gibt.
*grins* Wo, bitte ist denn der Unterschied zwischen der Ich- und der personalen Perspektive außer ›er/sie‹ und ›ich‹ ...? Im Prinzip sagst du in diesem Absatz - allerdings elegant verschlüsselt - eh das gleiche wie ich. Nur ist da etwas in dir, das viel lauter ist und (bockig) ruft: »Ich will nicht so viel Nähe und ich will nicht bevormundet werden, also ist das nichts. Und damit bassa!«
Dornpunzel schrieb:
Es ist auch auffällig, dass 3/4 der Bücher, die meine Tochter (10) liest, in der Ich-Perspektive geschrieben sind. Ist das jetzt nur Zufall oder tatsächlich vermehrt so, dass diese Perspektive in Jugendbüchern häufiger genutzt wird? Und wenn ja, warum denn?
*doppelgrins* Nein, liebe Dornpunzel, das ist gar kein Zufall und hat auch mit Jugendbüchern nichts zu tun, sondern mit Bedürfnissen nach ... und hier ist der geneigte Leser dazu angehalten, selbst zu ergänzen *smile*