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THEMA: Wie beurteilt ein Lektor

Wie beurteilt ein Lektor 19 Nov 2015 21:56 #3817

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Ich glaube, nicht jeder Lektor handhabt das gleich. Ich kann nur von mir reden.

Es beginnt damit, dass sich leider, leider, so gut wie jeder Text als nicht veröffentlichungsreif herausstellt. Bereits die meisten Exposés sind unprofessionell, von den Anschreiben will ich gar nicht reden. Dann stellt sich bereits nach den ersten wenigen Sätzen heraus, dass das Ganze noch nicht so weit ist.

Sollte ein Text doch etwas packen - das Super-Wow habe ich selbst noch nie erlebt, deswegen also ›etwas‹ - bitte ich um das gesamte Manuskript und mache mir gern als erstes ein Hörbuch daraus; so höre ich die Geschichte einmal durch. Damit sehe ich, wie sie auf mich wirkt. Auch dabei verliere ich häufig die Lust nach der ertsen halben Stunde. Freilich spielt es eine Rolle, dass auch die beste Retortenstimme Automat bleibt - trotzdem.

Und dann erst lese ich das Exposé. Eventuell geht es jetzt darum, die Geschichte umzustellen. Danach geht es dann detailliert kapitelweise weiter. Erster Durchgang das Grobe: Sätze entwirren, kürzen, umstellen. Zweiter Durchlauf Details bis zur Interpunktation und RS.

Andere machen's vielleicht ganz anders, dazu kann ich nichts sagen.

Viele Grüße
Martin
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Wie beurteilt ein Lektor 20 Nov 2015 05:11 #3818

  • Sheila
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Hallo,

ich kenne es als ein *sowohl als auch*.

Grund:

Lektoriere ich nur einige Seiten lese ich normalerweise nicht das ganze Skript. Denn bekomme ich den Auftrag 30 - 50 Seiten zu lektorieren steht es vom Zeitaufwand in keinem Verhältnis, wenn ich zuvor ein vllt. 500 und mehr Seiten Skript lesen soll. Dann muss die Inhaltsangabe/das Expose alles Wichtige enthalten.

Bekomme ich den Auftrag, das ganze Buch zu lektorieren, lese ich es selbstverständlich zuvor.
Liebe Grüße

Sheila
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Wie beurteilt ein Lektor 20 Nov 2015 20:07 #3821

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Ich danke euch beiden, für eure informative Antworten. :kiss:

Dass ein Lektor ein guten Buch gleich zu Beginn erkennt, ist ein Aspekt, den ich ganz vergaß. :(
Dadurch wird mir wieder bewusst, wie wichtig ein guter Einstieg ist.


Natürlich würde ich bei 50 Seiten auch keine 500 Seiten lesen, da muss ich dir Recht geben, Sheila.
Es sei denn es interessiert mich. (Jetzt verstehe ich ;) )
liebe Grüße

Cora
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Wie beurteilt ein Lektor 21 Nov 2015 12:27 #3825

  • Martin
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CoraSuess schrieb:
Dass ein Lektor ein guten Buch gleich zu Beginn erkennt, ist ein Aspekt, den ich ganz vergaß. :(
Dadurch wird mir wieder bewusst, wie wichtig ein guter Einstieg ist.

Liebe Cora,

wenn die Sache so einfach wäre.
Der packende Einstieg ist der Köder für den Leser.

Seitens des Lektors sieht die Sache ganz anders aus. Er liest aus den ersten Sätzen heraus, wie das ganze Buch ziemlich sicher sein wird. Am einfachsten verständlich, wenn du dir das Vorspielen eines Pianisten vorstellst. Bereits nach den ersten Takten wird der Kenner merken, ob es sich um einen Dilettanten, handelt, einen hoffnungsvollen Anfänger oder um einen Künstler.

Beim Schreiben ist es nicht anders. Der Klavierspielvergleich ist ausgezeichnet geeignet, um von der Illusion wegzukommen (denn wir lernten Schreiben ja in der Schule), sozusagen schon ganz gut zu sein. Deshalb damit weiter: Wie hört ein guter Anfänger das Spiel eines guten Pianisten? Er mag schon einen Unterschied bemerken, die größere Leichtigkeit im Anschlag, dass sich dieser nicht um die Noten kümmern muss, sondern sich mit dem klanglichen Leben des Stücks beschäftigen kann. Der andere ist halt besser. Oft kann er nicht einmal sagen warum. Wenn jedoch der Pianist Spielern zuhört, die seine Meisterschaft noch nicht haben, dann hört er an allen Ecken und Enden die Unvollständigkeit des Handwerks heraus - und kann die auch begründen.

Ich möchte dich damit nicht demotivieren, aber du und ich, wir stehen noch sehr, noch ganz am Anfang. Je mehr ich lese und hoffe, mich beim Schreiben zu verbessern, umso mehr bemerke ich meine Entfernung zu wirklich gut Geschriebenem.

Soviel zur sogenannten Qualität.

Ein wenig kommt es zusätzlich darauf an, was man schreibt. Bei einem Krimi geht es um die Rafinesse des Falls, beim Regiokrimi noch um die Wiedererkennbarkeit des Ortes. Bei einem Thriller um die Spannung. Bei einem Erotikroman um den Unterleib. Bei Fantasy um Flucht vor dem Hier und Jetzt. Bei Liebesgeschichten um innere Sehnsucht und Kompensation. Und so weiter. Natürlich kann man bei allem besser oder schlechter schreiben.
Es kommt immer darauf an, wie sehr man das Leserbedürfnis trifft. Deshalb kommt nicht bei allen Gattungen gleich stark darauf an, wie gut man sein Handwerk versteht. Bei einem zeitgenössischen Roman muss man schon sehr viel mehr draufhaben, als bei zum Beispiel den oben angeführten speziellen Genres. Wenn das Bedürfnis der Zielgruppe getroffen wird, ist das mehr als die halbe Miete: Thriller - spannend; Erotik - Gefühl/Sex. Bei einem Roman, bei dem das Leserbedürfnis das In-sich-Hineingezogenwerden seitens der Geschichte ist, wird es wirklich heikel. Die Konzertbesucher sind das nämlich, die sich von den Klavierklängen verführen und dann entführen lassen wollen.

Das Gemeine heute ist, dass es so viele Neuerscheinungen und Bücher überhaupt gibt (mehrere Hunderttausen pro Jahr(!) ), dass man Bedürfnisbediener und Schreibvirtuose zugleich sein muss, um wirklich zu landen.

Fazit: Wie gut man auf der Tastatur der Sprache bewandert ist, erkennt ein guter Lektor bereits nach zwei, drei Sätzen. Da nützt das ganze Ich-mache-einen-guten-Anfang nichts, denn ein Etüdengeplagter ist kein Konzertpianist.

Liebe Grüße
Martin
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Wie beurteilt ein Lektor 22 Nov 2015 15:13 #3866

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Mh. Was genau sagst du uns da jetzt, Martin?

Für mich dieses:
Ich werde nie erfahren, ob ich wirklich gut bin, denn ich werde es höchstwahrscheinlich nicht von einem Lektor (dem Fachmann) gesagt bekommen. Welche andere Meinung, als die des Fachmanns, könnte mich aber wirklich als guten Autor auszeichnen? Du kannst sagen, der Leser. Aber stimmt das? Ich habe schon genug Romane gelesen, die sehr gut verkauft werden und trotzdem voll von fachlichen Fehlern und sogar Unverschämtheiten sind. Nicht immer verkauft der Autor letztlich das Buch, sondern die Marketingabteilung.

Ein Lektor beurteilt mein Skript schon nach den ersten zwei drei Sätzen. Also bildet er sich dann schon eine Meinung über meine Fähigkeiten. Demzufolge ist er voreingenommen, von seinen eigenen ersten Eindrücken. Also müsste es jetzt darauf ankommen, wie unvoreingenommen er trotzdem weiter liest. Habe ich da überhaupt eine Chance? Wie soll ich schon in den ersten 2-3 Sätzen mein ganzes Können darstellen?

Hinzu kommt, dass auch ein Lektor nur ein Mensch ist, und somit persönliche Vorlieben hat. Doch kann ein Lektor das ausblenden? Schließlich soll er beurteilen, ob man sich in der Geschichte verlieren kann, ob sie mitreißt bzw. dich zu Tränen rührt. Wie kann er das, wenn ihm schon das Genre persönlich nicht zusagt? Und kann ein Lektor Gefühle theoretisch nachempfinden, wenn sein persönlicher Geschmack diese nicht zulässt, um sie zu beurteilen?

Ich weiß nicht, aber ich finde deine Erklärung ist ziemlich grau. Mag ja sein, dass das in Wirklichkeit so ist, aber will ich das als aufstrebender, motivierter Autor ernsthaft wissen? Wozu? Um mich demotiviert zu fühlen? Etwas Dämpfung in all zu großer Euphorie ist ja ganz gut, aber zuviel ist m. E. n. kontraproduktiv.

Bitte, gib uns auch ein wenig Licht, in all dem Grau, ja? :unsure:

LG Sam
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Wie beurteilt ein Lektor 22 Nov 2015 15:44 #3869

  • Sheila
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Samanter schrieb:
Bitte, gib uns auch ein wenig Licht, in all dem Grau, ja? :unsure:

Hallo Sam,

nimmst du auch eine Fackel von mir? :kiss:

ja, wenn ich einen Text vor mir habe, dann erkenne ich auch, was ein Schreiber technisch drauf hat/nicht drauf hat. Denn die Sachen, die mir bei den ersten Sätzen/der ersten Seite aufstoßen, ziehen sich immer bis zum End durch. Das ist Fakt.

Aber das ist auch nur die eine Seite.

Die andere Seite ist die Idee dahinter.

Letztens hatte ich einen Text, da waren die Charaktere von Anfang an so liebenswert-skurril, charmant und gegensätzlich, dass mich der Text gepackt hat. Ich unbedingt wissen wollte, in welche Situationen sie rein- und vor allen Dingen - wie herauskommen.

Bei einem anderen (Vampier) Text - so gar nicht mein Genre - wurden einem Typen überdimensionale Fledermaus-Flügel eingesetzt. Das war das Außergewöhnliche, was mich reizte, obwohl techn. eine Menge zu meckern gab. Aber die Idee hatte mich am Haken.

Coras Krimi (du verzeihst, Cora?) - hat mich mit dem skurrilen Mord/Tatort und dem Ermittlergespann gefangen, obwohl ich Cora mit meiner Meckerei wahrscheinlich auch an den Rand des Wahnsinns getrieben habe.

Wenn die Idee besonders/interessant ist, ist das für mich bereits zwei Drittel der Miete. Das Technische/Schreiberische kann ein Autor - so er gewillt ist und Hilfe will/annimmt und mit fortschreitender Erfahrung - in den Griff bekommen.

Aber wenn dieses Besondere/die Idee/Spannung fehlt, kann ein Text stilistisch noch so gut/raffiniert/wortgewandt geschrieben sein, er wird kaum jemanden vom Hocker hauen.
Liebe Grüße

Sheila
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Wie beurteilt ein Lektor 22 Nov 2015 15:56 #3870

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Ja, mjammi! Das habe ich gebraucht.

Es kommt also nicht nur auf den fachlich korrekten Stil an, sondern auch auf andere Dinge. Das kann die Idee, die besonderen Charaktere, oder vielleicht auch nur der besondere Slang sein. Als ich damals "Dieter Bohlen" las, überzeugte mich weder der Stil noch die Geschichte, naja, und die Charaktere erst recht nicht. Aber die Sprache fand ich toll, weil sie so authentisch und der von Dieter Bohlen perfekt nachempfunden war.

Danke Sheila!

LG Sam
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Wie beurteilt ein Lektor 22 Nov 2015 17:38 #3873

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Schade, dass wir hier nicht liken können, Sam! Deine Worte fand ich toll! Ich fand Martins Beitrag auch eher demotivierend. :dududu:

Und Danke an Sheila für deinen gelungenen Motivationsaufbau. :kiss:

Coras Krimi (du verzeihst, Cora?) - hat mich mit dem skurrilen Mord/Tatort und dem Ermittlergespann gefangen, obwohl ich Cora mit meiner Meckerei wahrscheinlich auch an den Rand des Wahnsinns getrieben habe.

Nein, du hast mich nicht in den Wahnsinn getrieben. Ich arbeite seit langer, langer Zeit an meinem Buch und hier habe ich endlich die entsprechende Hilfe gefunden. Solange ich von euch lernen kann und dadurch mein Buch verbessere, ist mir konstruktive Kritik sehr willkommen.

Wenn du jedoch mein Buch verrissen hättest, dann hätte ich vielleicht erwogen, mich einweisen zu lassen. ;)
liebe Grüße

Cora
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Wie beurteilt ein Lektor 22 Nov 2015 20:09 #3879

  • LucyB
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Guten Abend,
ja das liken fehlte mir auch kürzlich :cheer:

Ich kann dem Gesagten nur zustimmen. Das Wichtigste ist, dass mich irgendetwas an einem Text packt. Erstmal ist der Inhalt wichtig, die Figuren, eine außergewöhnliche Idee oder der Plot. Ob es jetzt eine perfekte "show" ist, kann man später noch nachbasteln. Aber wenn das Fleisch zäh ist, dann hilft auch das Gewürz nicht mehr.

Ansonsten kann ich es nur vergleichen mit den Geschichten, die mein Sohn schreibt. Er hält sich Ewigkeiten bei seiner Figur auf und ist fasziniert davon. Der Mann, der eine grüne Jacke trägt, klatscht in die Hände und sagt: "Hallo!" Man kann dann natürlich versuchen, den Satz umzustellen. Die Adjektive streichen und mehr show einzufügen oder man kann erst mal um Handlung bitten. Naja, ehrlich gesagt hatte das Beispiel schon verdammt viel Handlung. Es geht auch besser wie: Das Gespenst Gusti sagte zu Rudolf dem Rentier: "Hallo, ich bin Gusti." Woraufhin Rudolf das Rentier sagt: "Ich bin Rudolf das Rentier."

Nur mal so als Beispiel, was man aus zwei Sätzen zaubern kann. Meinen Sohn kann ich dafür nur loben, aber einen Autor? Mich wundert es nicht, wenn Lektoren schnell mit den Augen rollen.

Schönen Abend
Lucy
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Wie beurteilt ein Lektor 23 Nov 2015 09:08 #3882

  • Andrea
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Schönen guten Morgen zusammen :)

Ich nehme jetzt mal das von Martin
Es kommt immer darauf an, wie sehr man das Leserbedürfnis trifft. Deshalb kommt nicht bei allen Gattungen gleich stark darauf an, wie gut man sein Handwerk versteht.

und das von Sheila
Aber wenn dieses Besondere/die Idee/Spannung fehlt, kann ein Text stilistisch noch so gut/raffiniert/wortgewandt geschrieben sein, er wird kaum jemanden vom Hocker hauen.

und erzähle euch eine wahre Geschichte:
Seit Jahren kenne ich einen Autor, mit dem ich mittlerweile sehr gut befreudet bin und der ausschließlich historische Romane schreibt. Als wir uns damals in einem Schriftstellerforum über den Weg gelaufen sind, hatte er dort gerade seinen ersten Roman vorgestellt. Als ich die Leseprobe dazu gelesen hatte, war ich erschüttert, dass das ein Verlag (auch wenn es ein ganz kleiner ist) veröffentlicht hat, weil es leider vor Rechtschreibfehlern strotzte, die einem Germanistikprofessor beim Korrekturlesen allesamt durchgeflutscht waren. Ich habe den Autor dann angeschrieben und gemeint, dass ich das schon sehr traurig finde, dass das keiner wenigstens im Ansatz korrigiert hat. Wir hatten sofort einen sehr guten Draht zueinander und ich habe ihn dann gebeten, mir doch mal das Word-Manuskript zu schicken. Auch wenn da da schon zu spät war, wollte ich das im Nachhinein trotzdem noch korrigieren.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich durch eine harte Schule gegangen und mein Liebstes war das Thema Perspektive. Nun stellte sich heraus, dass dieser Autor noch nie einen Schreibratgeber gelesen, keine Ahnung vom handwerklichen Schreiben und in seinem Leben noch nichts von einer auktorialen Perspektive, schon gar nichts von show und tell gehört hatte. Abgesehen davon, dass in seinen Büchern stets jede Art von Perspektive zum Tragen kommt, man gar nicht weiß, wo die eine anfängt und die andere aufhört :)
Er meinte dann, ich könne ihm viel erzählen, das möge schon stimmen, doch egal, denn er könne nur so schreiben wie er es eben tue und daran würde sich nichts ändern. Okay, das war eine klare Ansage, also habe ich es dabei belassen und mich darauf beschränkt, bei den folgenden Büchern nur die RS-Fehler zu korrigieren und seine geliebten Schachtelsätze zu entwirren.

Das Ende vom Lied war, dass Weltbild seine ersten drei Romane als E-Book herausgebracht hat (die Rechte für die Taschenbücher liegen noch bei einem anderen Verlag) und sein letzter Roman erscheint nächstes Jahr im April bei Knaur, die auch schon Interesse für sein aktuelles Buch, an dem er gerade schreibt, angemeldet haben. Und das ohne jede Ahnung vom Handwerk an sich - dafür aber mit einem (wie ich finde) wunderbaren Erzähltalent, einer klasse Mischung zwischen historisch belegten Fakten und der Geschichte, die er darum spinnt.
Die Bücher gingen bei Weltbild und Knaur natürlich nochmals durch ein "richtiges" Lektorat, wo aber nicht mehr viel geändert wurde, außer dass Knaur eine Kürzung von 50 Seiten verlangte. Die anderen Änderungen würde ich unter persönlichem Geschmack des Lektors verbuchen, der einen Satz halt lieber so als so formuliert haben wollte.

Vor einigen Jahren war ich mit einigen anderen Autoren in einer Schreibgruppe, die von einem sehr kompetenten Tutor geleitet wurde. Ich würde behaupten, dass er wirklich alles weiß, was das Handwerk des Schreibens betrifft. Wir waren insgesamt einer harter Kern von fünf Schülern, die verschiedene Übungstexte zu schreiben hatten, die er dann korrigierte und stets mit jeder Menge Tipps versah. Was mir dabei nur fehlte, war, dass er sozusagen jeden mit denselben Tipps bedachte, ohne auf das individuelle Schreiben des einzelnen einzugehen. Mit der Zeit war es dann so, dass sich die Texte der "Schüler" vom Stil her immer mehr ähnelten. Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Gruppe verließ und das folgende Jahr mit einer anhaltenden Schreibblockade zu kämpfen hatte, weil ich vor lauter Nachdenken darüber, was ich alles zu beachten hatte, gar nicht mehr wusste, wie ICH schreiben sollte.

In meinen Augen ist es bestimmt nicht schlecht, wenn sich jemand, der einen Roman schreiben möchte, mit der Materie auseinandergesetzt hat, aber Handwerk allein ist auch nicht alles.
Für mich ist wichtig, dass man sich beim Schreiben selbst treu bleibt und es so gut macht, wie man es halt kann. Jeder Texte sollte für mich immer die Handschrift des Autors tragen und als Text eben dieses Autors erkennbar bleiben. Wenn es nicht besser geht, geht es halt nicht.
Selbst perfektes Handwerk UND genialer Plot sind ja auch kein Garant dafür, dass man auf der Bestsellerliste landet, denn Lektoren sind auch nur Menschen, die schlicht auch mal den einen oder anderen schlechten Tag oder eben ein Brett vor dem Kopf haben ;)

In diesem Sinne lasst euch die Freude am Schreiben oder das, was euch dazu motiviert, "nie nicht" verderben!!

Wünsche euch einen schönen Tag
Andrea
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Wie beurteilt ein Lektor 23 Nov 2015 13:06 #3887

  • Martin
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Samanter schrieb:
Mh. Was genau sagst du uns da jetzt, Martin?
Etwas, das so üblicherweise untergeht: dass Schreiben zur Kunst zählt und nicht von 0 auf 100 funktionieren kann, wenn man es als Kunst betreiben möchte. Dass das aber eine weniger große Rolle spielt, wenn man trotzdem das Bedürfnis des Lesers trifft.

Samanter schrieb:
Ich werde nie erfahren, ob ich wirklich gut bin, denn ich werde es höchstwahrscheinlich nicht von einem Lektor (dem Fachmann) gesagt bekommen. Welche andere Meinung, als die des Fachmanns, könnte mich aber wirklich als guten Autor auszeichnen? Du kannst sagen, der Leser. Aber stimmt das? Ich habe schon genug Romane gelesen, die sehr gut verkauft werden und trotzdem voll von fachlichen Fehlern und sogar Unverschämtheiten sind. Nicht immer verkauft der Autor letztlich das Buch, sondern die Marketingabteilung.
Gibt es ›gut‹? Literarisch? Gibt es das ›Gut‹ überhaupt? Ich denke nicht. Lektoren sind Schnittstellen zwischen Autor - Verlag - Leser. Sie wissen meistens, was gut ankommt. Verlag ist Business. Und nur das. Neutral ›gut‹ kann man am ehesten noch dann sagen, wenn es dem Autor gelungen ist, seine inneren Bilder beim Leser möglichst ähnlich auferstehen zu lassen. Der Rest ist Angebot und Nachfrage.
Gegenfrage: was ist für dich ›gut‹?

Samanter schrieb:
Ein Lektor beurteilt mein Skript schon nach den ersten zwei drei Sätzen. Also bildet er sich dann schon eine Meinung über meine Fähigkeiten. Demzufolge ist er voreingenommen, von seinen eigenen ersten Eindrücken. Also müsste es jetzt darauf ankommen, wie unvoreingenommen er trotzdem weiter liest. Habe ich da überhaupt eine Chance? Wie soll ich schon in den ersten 2-3 Sätzen mein ganzes Können darstellen?
Mal ganz nüchtern: wenn dir das nicht in den ersten Sätzen gelingt, dann gelingt es dir später vermutlich auch nicht. Freilich kann man sagen, dass es ja die Geschichte sein kann, die Figuren, die Originalität usw. Nur muss genau das Lektoren egal sein. Denn die sind gezwungen, aus täglich unzähligen Manuskripten die Rosinen herauszupicken. Business heißt der Grund. Und Zeit. Dein Wunsch nach einem netten Lektor, der dann trotzdem weiterliest ist zwar fromm, aber leider unrealistisch.

Samanter schrieb:
Hinzu kommt, dass auch ein Lektor nur ein Mensch ist, und somit persönliche Vorlieben hat. Doch kann ein Lektor das ausblenden? Schließlich soll er beurteilen, ob man sich in der Geschichte verlieren kann, ob sie mitreißt bzw. dich zu Tränen rührt. Wie kann er das, wenn ihm schon das Genre persönlich nicht zusagt? Und kann ein Lektor Gefühle theoretisch nachempfinden, wenn sein persönlicher Geschmack diese nicht zulässt, um sie zu beurteilen?
Hier kommt dein Glück ins Spiel. Hast du Pech, bekommt deinen Erotikroman der Krimilektor in die Hand, der ihn gleich augenrollend ablehnt, weil gerade seine Frau mit seinem besten Freund durchgebrannt ist.

Samanter schrieb:
Ich weiß nicht, aber ich finde deine Erklärung ist ziemlich grau. Mag ja sein, dass das in Wirklichkeit so ist, aber will ich das als aufstrebender, motivierter Autor ernsthaft wissen? Wozu? Um mich demotiviert zu fühlen? Etwas Dämpfung in all zu großer Euphorie ist ja ganz gut, aber zuviel ist m. E. n. kontraproduktiv.
Ja, sind sie: grau. Denn die Chancen, glücklicher Autor zu werden, der vom Schreiben von Romanen leben kann, sind etwa so groß wie ein Lottosechser - kein Witz! Wir pflegen, was das Schreiben angeht, in Illusionen zu tanzen, die haarstreubend sind und den großen Frust vorprogrammieren.

Samanter schrieb:
Bitte, gib uns auch ein wenig Licht, in all dem Grau, ja? :unsure:
Nichts lieber als das! Schreiben ist ein unglaublich hilfreicher Prozess mit vielen Aspekten! Sich darauf einzulassen bedeutet Mut, aber damit auch eine ganze Menge an Gewinn! Allerdings ist der meistens anders, als wir ihn uns vorstellen. Eigentlich müsste ich jetzt ins Philosophische eintauchen und über Lebenssin zu reden anfangen. Ein großer Teil davon ist nämlich das Zu-sich-Finden. Und dazu gehört das Ent-täuscht-Werden. Der Mut dazu, sich nicht von Täuschungen in die Irre führen zu lassen. Eine davon wäre, dass sich jeder hinsetzen kann, einen Roman schreibt und reich wird wie Rowling oder James. Nur: liegt dieses Reichwerden auf deinem persönlichen Lebensweg? Bei den wenigsten von uns, wenn man auf- und rundherumblickt.
Die Lebensaufgabe liegt eben nicht darin, reich und zufrieden zu werden, sondern man selbst und glücklich zu werden. Und genau für diesen Weg empfinde ich das Schreiben als perfektes Werkzeug! Warum?

1. Schreiben bedeutet ganz banal ›ausdrücken‹. Wie man eine Zahnpastatube ausdrückt, kann man auch sich ausdrücken, indem man schreibt. Das Innen kommt nach außen, man bewältigt, drückt weniger aufs Herz. Nicht umsonst empfehlen viele Therapeuten, sich etwas von der Seele zu schreiben.

2. Schreiben ermöglicht es einem, seine eigenen Wunschwelten zu zaubern. Man kann sich in diese zurückziehen und das ist wunderschön.

3. Man bekommt Kontakt zu Menschen, die man sonst nie hätte. Virtuell und physisch. Mitautoren, Leser und alle, die sich im Literaturmarkt tummeln. Man kann gemeinsam NaNoWriMos bestreiten, gemeinsam zittern, sich gemeinsam freuen. Man ist in einer Gruppe meist liebenswerter Menschen, die dasselbe Ziel haben: Schreiben.

4. Die Beschäftigung mit dem Schreiben, dem Handwerk, den Geschichten, der ganzen Verlagnslandschaft und dem Flair, was über all dem liegt, macht schlicht Spaß.

5. Besteht doch, wenn auf unserem persönlichen Lebensweg der äußerliche Erfolg wartet, die Möglichkeit, ein Werk zu verfassen, dass viele andere berührt.

6. All diese Punkte hängen nicht vom Erfolg unseres Geschriebenen ab. Vielleicht sollten wir mit Citroen denken: Der Weg ist das Ziel.

Sind das genug Gründe, um das Grau bunter zu machen?

Liebe Grüße
Martin
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Wie beurteilt ein Lektor 24 Nov 2015 10:47 #3913

  • Samanter
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Ja, Martin, sind es.

Ich hatte nie das Bestreben, mit dem Schreiben meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Einzige, was ich zu erreichen versuche ist, mein Buch durch einen Verlag veröffentlicht und von Lesern gelesen zu sehen. Man könnte auch sagen, ich will ein professionelles Mikrofon für meine Rede in die Hand zu bekommen und einen Saal voller Zuhörer. Ich habe etwas zu sagen, auch wenn vieles davon nur meine persönlichen Erfahrungen sind. Der Gedanke, dass diese Erfahrungen in der Anonymität untergehen, keinerlei Bedeutung, außer für mich, haben, macht mir Angst. Mein Schicksal ist nicht unbedeutend, ich bin nicht unbedeutend und auch nicht das, was ich geleistet/bewältigt habe. Meine Erfahrungen können vielen Menschen nützen, aber dazu müssen sie es erfahren. Nun kannst du aber nicht einfach hergehen, und deinen Frust in der Öffentlichkeit herausschreien. Damit würde ich meinen Feind nur provozieren und hätte am Ende ein Verleumdungsklage am Hals, da ich für nicht, was passiert ist, fundierte Beweise habe. Also verpacke ich das Ganze in eine Geschichte, die nicht bewertet werden kann in Bezug auf die Wirklichkeit. Ist ja nur eine Geschichte. Doch diese Geschichte drückt den Finger so richtig in die Wunden, schreit die Wahrheit laut heraus.

Ja, und genau das ist es im Kern, was mich zum Schreiben motiviert. Ich will endlich den Knebel loswerden, den man mir verpasst hat.

Natürlich glaube ich dir, was die Praktiken in den Verlagen angeht. Viel anders hatte ichmir das auch nicht vorgestellt. Leider wird auch in der Verlagsbranche, wie in jeder anderen, immer zuerst nach den Gewinnchancen beurteilt, und das mit so geringem Einsatz wie möglich. Ich wollte nur aufzeigen, welche Probleme dieses System mit sich bringt, und dass ein Autor nicht zwangsläufig schlecht ist, nur weil er, wie du schon sagst, kein Glück hatte, weil er nicht den richtigen Lektor, an genau dem richtigen Tag und der gerade genau richtigen vorherrschenden Nachfrage erwischt hat.

Kunst zu verkaufen ist immer ein großes Stück Glück. Kunst ist nicht, was der Mensch zum Überleben braucht. Sie ist immer Luxus für den "Verbraucher". Demzufolge muss sie Gefallen, den Geschmack der Leute treffen, ganz gleich nach welchen Regeln man sie geschaffen hat.

LG Sam
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Wie beurteilt ein Lektor 04 Jan 2018 07:22 #5890

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Ja, das wurde in der Diskussion zunehmend philosophisch... :)

Da mach' ich aber gerne mit; mein Spieltrieb wiehert; ich scharre :augenroll: mit den Hufen; und ab die Post:


Martins Satz war, der mir am wichtigsten gewesen ist, "Schreiben ist Kunst".

Ich ergänze, "Erzählen ist Kunst".

Damit wird eine Ur-Ebene angesprochen: Ausdrücken mit Leben, lebendig, einprägsam, gelungen. In allen Sprachen, ohne Unterschied, und auch außerhalb von Schriftkulturen. (Mein Vater war Anthropologe. Ich habe ihn manchmal als Kind bei seinen Forschungen begleitet, wurde davon stark mit-geprägt. "mit", weil es sonst auch vieles Mich-"Mit"-Prägendes gegeben hat... Wenn Chinesen verfluchen, wünschen sie einem "ein interessantes Leben". B))

Fangen wir also mit dem "Leben" an.

Um etwas "mit Leben" in die Welt zu setzen, muß ja im setzenden/gebärenden Subjekt reichlich Leben sein. Das kann man unmöglich lernen.

Das sind wir schon beim ersten Krabbel-Schrittchen im Mysterium. Was ist dieses Fluidum, dieses "Leben", dieses unersetzliche, unabdingbare Quantum?

Es würde mich glatt überfordern, zu dichten aus dem Stegreif etwas Beschreibendes dazu. Ich belaß' es bei Andeutung.

Die Schamanen, die ich kennenlernte, wurden von ihren Meistern als Lehrlinge ausgewählt, hatten sich nicht beworben. (Waren auch darüber nicht besonders glücklich...) Jene sagten, sie würden merken, ob in einem der "Geist" sei. Wir reden also von noch keiner wie auch immer gearteten Geschichte, schon gar nicht von einem Handwerk. Es geht ja um die Person.

Als ich zehn Jahre alt war, lernte ich in Triest durch Verwandte einen gymnasialen Italienisch-Professor kennen. Er fragte mich irgend etwas. Ich weiß eben nicht mehr, was es gewesen war.

Ich erzählte - auf Italienisch. Er hörte zu. Sein Zuhören bekundete mir Anklang. Also erzählte ich weiter. Munter.

Als ich fertig war, schwieg er - mich prüfend. Nach einer Weile sagte der Mann: "Ich will, daß Du Schriftsteller wirst." "Ich möchte aber Biologe und Psychoanalytiker werden!" Wieder ein Schweigen. Dann: "Du wirst Biologe und Psychoanalytiker werden. Du wirst den Erzählungen der Tiere und der Menschen hinhören; Schriftsteller werden."

So wurde ich Schamane.


Ausdrücken "lebendig": Da purzeln wir schon in die erste Mischform. Das Erzählte muß ja aus dem "Geist" kommen; doch auch diesen Geist vermitteln, weitergeben! Der Andere als Anderer muß bewegt werden. Ich muß Fachmann fürs Anderssein werden, in den Anderen als Anderen hinübergehen, mit seinem Ohr zuhören!


Ausdrücken "einprägsam": Das Weitergereichte muß Kraft entfalten! Macht! Einen Durchblick ins Sein gewähren. Erschüttern? Zumindest ansatzweise.


Ausdrücken "gelungen": Das Handwerk muß stimmig sein, stimmig vibrieren, gekonnt den Regeln Atem einhauchen, die Regeln in einen freien Gesang der Regeln verwandeln, stärker als die Regeln.

Also auch Handwerk. Als ein Letztes. Aber von Kunst, in Kunst überformt.


Und "Ausdrücken mit Leben, lebendig, einprägsam, gelungen" mutet dem "musikalischen" Anderen als eine Einheit denn an.



Ars longa vita brevis.
Meine sehr kluge Signatur befindet sich noch in der Herstellungsphase. Falls keine gravierenden Inkompatibilitätsprobleme auftauchen werden, rechne ich mit ihrer Lieferung für das 1. Quartal 2034. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.
Letzte Änderung: 04 Jan 2018 07:26 von Abifiz.
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