9. Das Exposé (Teil 3): Der Romanbeginn
Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, hier die komplette Romanhandlung zu entwickeln. Das würde nicht nur zu viel Zeit und Raum einnehmen, sondern wäre auch kontraproduktiv. Schließlich will ich nicht nur aufzeigen, wie so etwas gehandhabt wird, sondern Sie auch neugierig genug auf den Roman machen, dass Sie bereit sind, die paar Kröten dafür zu berappen und mir damit ein halbwegs menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Und dem Verleger, nicht zu vergessen. Und dem Drucker und seiner vielköpfigen Familie, dem Titelbildgrafiker, dem Layouter, dem Lektor, dem Steuerprüfer ... und last but not least dem größten Nimmersatt von allen: dem Großhändler, der (mindestens) 50% vom Netto-Verkaufspreis (d. h. Verkaufspreis ohne Mehrwertsteuer) kassiert. Das nur zwischendurch mal zu dem Thema, warum Bücher Geld kosten, warum auch E-Books Geld kosten, die nicht gerade von Hobby-Autoren selbst herausgegeben werden, ohne Lektorat und Qualitätskontrolle. Warum »Flatrate-E-Books« der Tod von qualitativ hochwertiger Literatur sind. Der Bäcker von nebenan will vielleicht nichts für ein E-Book bezahlen – ein PDF ist schnell kopiert –, aber wehe, wenn jemand mit einer Semmel davonrennt, dann schreit er sofort nach der Bollizei!
Und da wir gerade bei persönlichen Anmerkungen sind, erlauben Sie mir noch eine, auch wenn sie off topic ist, wie man neudeutsch so schön sagt: Mein Katzenroman »Katzenwesen« ist – unter dem Pseudonym Torsten Weigand – im November im Mariposa-Verlag, Berlin, als Taschenbuch und E-Book erschienen (siehe nebenstehenden Link). Wie ich in meinem allgemeinen Blog geschrieben habe, bedeutet mir der Roman sehr viel, und darüber hinaus halte ich ihn für einen meiner besten Romane (für den schönsten sowieso). Wenn Sie Katzen lieben, möchten Sie vielleicht mal einen Blick hineinwerfen ... passt auch hervorragend auf den Gabentisch ...
Aber nun endlich zurück zu unserer Geschichte. Wir wollten ja heute über den Auftakt des Romans sprechen, über die so wichtige erste Seite. Die Zeiten, da man mit endlosen Landschafts- oder Stimmungsbeschreibungen beginnen konnte oder gar mit der geologischen Geschichte des Schauplatzes, wie es der (für mich immer noch) große James A. Michener oft gemacht hat, sind vorbei: Der Leser von heute hat, so scheint es, keine Zeit mehr, sich in Ruhe in eine Geschichte »einzulesen«, er will action, am besten gleich im ersten Satz. Ob diese dann logisch ist, scheint nicht so wichtig ... Ob Sie’s glauben oder nicht, eine bei GOTT AMAZON erschienene Lesermeinung (mir sträubt sich die Tastatur, diese Machwerke »Rezensionen« oder gar »Kritiken« zu nennen, was beides das minimale Vorhandensein von Sachverstand impliziert) zu einem meiner Romane lautete einmal sinngemäß so: »Der Roman hat keine erkennbare Handlung. Ich habe das Buch nach 4-5 Seiten in die Mülltonne entsorgt.« Immerhin war das einer der extrem seltenen Fälle, wo sich GOTT AMAZON des geplagten Autors erbarmt und die Rezension, sorry: Lesermeinung auf dessen Anforderung hin gelöscht hat. Aber normalerweise erhört GOTT AMAZON solches Flehen seiner Schreibsklaven nicht, die Leute dürfen ungestraft den größten Unsinn veröffentlichen. Das nennt man wohl »Narrenfreiheit«. Doch ich schweife schon wieder ab ...
Wie wäre es, wenn wir den jugendlichen Helden und die jugendliche Heldin gleich zu Beginn einführen? Der Leser ahnt die sich anspinnende Liebesgeschichte und ist (hoffentlich) interessiert. Aber schlendert oder reitet das Mädchen einfach so durch Gegend, weil ihm langweilig ist? Sehr wahrscheinlich, aber im Roman unmöglich. Daher ist es auf der Flucht vor den Barbaren, gemeinsam mit seinem Vater und andern Mitgliedern einer kleinen Flüchtlingskarawane. Und diese Karawane wird natürlich prompt von Barbaren überfallen, die sich gerade zu einem Angriff auf die Baustelle sammeln. Die Leute aus der Karawane haben die Barbaren entdeckt, was diese zum Handeln zwingt.
Und da kommt unser Held ins Spiel, der das natürlich mitbekommt und nicht zögert, das Mädchen unter Einsatz seines Lebens zu retten. Das zeigt dem Leser bereits bei seinem ersten Auftritt eine wichtige Facette seines Charakters: Er ist entschlussfreudig und mutig.
Und was macht das Mädchen? Rennt es schreiend davon, die scream queen des Fantasy-Romans? Na, zum einen wäre das nicht ganz zeitgemäß (und wir wollen doch nicht die weiblichen Leser vergraulen und uns damit um deutlich mehr als die Hälfte der voraussichtlichen Buchkäufer bringen). Und zum anderen: Wäre so eine »Heldin« unseres mutigen und entschlussfreudigen Helden würdig? Wohl kaum. Also nutzen wir die Gelegenheit, das Mädchen ebenfalls als tapfer und wehrhaft einzuführen. Ganz im Gegensatz zu seinem Vater; der ist es nämlich, der schreiend davonläuft. Damit ist dessen Charakter ebenfalls bereits zu Beginn angerissen.
Da kommt mir gleich noch eine Idee, die ich vielleicht später im Hauptteil des Romans benutzen kann: Da wir einen Helden und eine Heldin haben, die einander ebenbürtig sind, was Entschlossenheit und Tatkraft anbetrifft, könnte durchaus einmal eine Situation eintreten, in der sie ihn rettet. Das wäre dann eine nette Spiegelung der Auftaktszene. Überhaupt sind solche sogenannten Vor- und Rückwärtsreferenzen ein weiteres Mittel, den Roman zu würzen. Nicht jeder Leser wird diese Spiegelungen erkennen, aber wenn er aufmerksam genug ist, erhöht sich in jedem Fall das Interesse.
Zwischendurch noch ein Wort der Warnung: Ein Beginn mitten in der action ist ein zweischneidiges Schwert. Ich erinnere mich (hoffentlich korrekt) an den Beginn von Star Wars: Episode I, den ersten Film der zweiten Dreierstaffel: Zwei Typen kämpfen mit ihren Laserschwertern gegeneinander. Das geht eine Weile hin und her – und dann habe ich ausgeschaltet, was letztlich dazu führte, dass ich alle drei Filme niemals gesehen habe. Warum habe ich ausgeschaltet? Na, was interessieren mich zwei Typen, die sich beharken? Ich bin emotional nicht involviert, ich habe keine Ahnung, zu welchem der beiden ich halten soll. Ich kann nicht mitfiebern, denn das Duell lässt mich kalt. Wenn das am Anfang eines Romans passiert, schaltet der Leser ab – aus, vorbei, ein nicht verkauftes Exemplar, oder noch schlimmer: eine miese Rezension, und zu Mittag gibt’s wieder mal nur Reissuppe vom eigenen Feld, würg ... Für den Romanbeginn bedeutet das: Ich muss unbedingt darauf achten, dass der Leser sehr schnell erkennt, wer der oder die »Gute« bzw. der »Held« / die »Heldin« und damit seine Identifikationsperson ist.
Um die Handlung weiterzuspinnen: Der jugendliche Held rettet also gleich zu Beginn die jugendliche Heldin und ihren alles andere als heldenhaften Vater. Möglicherweise ist es Liebe auf den ersten Blick (so etwas gibt es tatsächlich, nicht nur im Roman
, aaaaaaber damit beginnen erst die Probleme. Denn natürlich können die beiden sich nicht im ersten Kapitel »kriegen«, sondern allenfalls im letzten. Daher ist es eine »unmögliche« Liebe, nämlich die einer reichen Kaufmannstochter und eines armen Tunnelbauergehilfen, und ihr Vater, der Kaufmann, wird schon darauf achten, dass seine Tochter, die er wie alles andere als Handelsware betrachtet, »standesgemäß« heiratet. Tatsächlich sind die beiden auf dem Weg in die Hauptstadt, wo das Mädchen den Berater des Königs ehelichen soll. Das ist die »Agenda« des Vaters, das Ziel, auf das er jahrelang hingearbeitet hat und von dem er sich nicht durch einen, wie er den Helden nennt, »hergelaufenen Rotzbengel« abbringen lässt. Und in dieser Situation trifft ein Bote des Königs ein und zitiert den Tunnel- und Brunnenbaumeister (also den Chef unseres Helden) ebenfalls in die Hauptstadt, wo die kriegswichtigen Brunnen der Zitadelle trocken gefallen sind ...
Soweit der Anfang, d. h. die ersten 2 oder 3 Kapitel (von insgesamt vielleicht 70 oder 80). Das klingt jetzt, als ob sich der ganze Roman um die Liebesgeschichte drehe, aber tatsächlich ist diese nur ein subplot, eine Nebenhandlung, wenn auch eine wichtige. In der Hauptsache geht es um den jugendliche Helden, seine – innere und äußere – Reise ins Zentrum der Macht und seine dortigen Erlebnisse, während sich der Ring der Barbarenkrieger langsam enger um das Königreich schließt und rechtzeitig zum Höhepunkt des Romans ebenfalls die Hauptstadt erreicht. Die Wege des Helden kreuzen dabei einprägsame Gestalten, von denen ich hier nur zwei kurz anreißen will:
1. Ein immer wiederkehrendes Romanmotiv ist die Rache oder der »einsame Rächer«, der beispielsweise die Mörder seiner Familie sucht und zur Strecke bringt. Fast alle dieser Romane enden mit dem letzten Duell (das der einsame Rächer natürlich gewinnt), kaum einer geht darüber hinaus. Aber genau dieses Danach ist es, das mich interessiert: Was macht dieser einsame Rächer nach Vollendung seiner Rache? Lebt er glücklich und zufrieden bis an sein seliges Ende? Oder irrt er weiterhin umher, ein ewiger Wanderer auf der Suche nach einem Sinn für sein mit der Vollendung der Rache sinnentleertes Leben? Ich denke, Letzteres ist der Fall, und deshalb wird diese Figur eine wichtige Rolle im Roman spielen.
2. Wir sprachen den »Mentor« des Helden bereits an. Als »weiser Mann« weiß er, dass er nichts weiß ... und ist somit ständig auf der Suche nach Wissen. Es gibt eine uralte Legende von »Verlorenen Büchern«, die das Wissen der Vorfahren enthalten und »von den Göttern selbst« bewacht werden sollen. Mit diesem Wissen, denkt der Mentor unseres Helden, könnte man das Leben der Menschen verbessern, ihnen die Arbeit erleichtern, Krankheiten heilen etc. Seit Jahrzehnten jagt er blindlings dem Traum nach, die verlorene Erkenntnis wiederzufinden, und übersieht dabei, dass er selbst in dieser Zeit auf seinen vielen Reisen einzigartiges Wissen angehäuft hat, mit dem vielen Menschen geholfen werden könnte. Ist er also wirklich weise – oder nur klug? Und ist er letztlich in der Lage, den Unterschied zu erkennen?
Tatsächlich könnte man als Thema des Romans auch die Suche nennen, denn jede der Hauptfiguren sucht etwas anderes: Liebe, Reichtum, Macht, soziale Stellung und Sicherheit, Gerechtigkeit, Wissen, Erkenntnis. Das sind alles tief verwurzelte Sehnsüchte, die jeder nachvollziehen kann, mithin starke Motive für die handlungstragenden Charaktere. Und diese so unterschiedlichen Motive führen naturgemäß zu Konflikten, die in der Lage sind, Freundschaften zu zerbrechen und tödliche Feindschaften zu begründen. Nicht jeder dieser Suchenden kann letztlich fündig werden, und auch wenn er sein Ziel erreicht, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er dadurch glücklich wird ...